Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation
Frau Yildiz strahlt: «Ich habe so ein großes Glück!» Und ich finde das schön, denn so oft höre ich das Patienten nicht sagen. Eigentlich sprechen die Menschen nicht von Glück, solange sie sich noch auf der Intensivstation befinden; sie sind eher erleichtert. So etwas wie Glücksempfinden kommt meistens kurz vor der Verlegung auf die Normalstation, wenn ihnen klar wird, dass das Schlimmste überstanden ist.
Ich helfe Frau Yildiz auf die Bettkante, und plötzlich wird sie etwas fahl um die Nase. «Mir ist schwindelig», flüstert sie, und ich helfe ihr, sich wieder hinzulegen.
«Jetzt habe ich Pech», lächelt Frau Yildiz matt, und wir müssen beide wieder grinsen. Ein kurzer Blick auf die Uhr gemahnt mich zur Eile, und nachdem mir Frau Yildiz versichert hat, dass es ihr wieder besser geht und sie bequem liegt, flitze ich kurz ins Nachbarzimmer hinüber zu Herrn Schubert, der nun eine stattliche Anzahl Medikamente bekommt. Die meisten muss ich nur aufziehen und in die Zuleitungen spritzen, aber ich schneide mir in meiner Tranigkeit beim Abbrechen einer Glasampulle in die Finger. Obwohl es nur ein winziger Schnitt ist, brennt es wie Feuer, wenn Desinfektionsmittel darankommt.
Die wenigen Tabletten, die Herr Schubert bekommt, muss ich kleinmörsern und mit etwas Wasser vermengt in die Magensonde geben. Hinzu kommen außerdem noch zwei Sorten Antibiotika, die sich als Trockensubstanz in kleinen Glasfläschchen befinden und mit Kochsalz zu einer Infusionslösung verarbeitet werden müssen. All das muss danach auf dem riesigen Kurvenblatt abgehakt werden, dazu kommen noch die Beatmungsparameter, der Blutdruck, die Herzfrequenz und die Urinausscheidung. Zu jeder vollen Stunde müssen all diese Werte notiert und zum Ende der Schicht noch der Pflegebericht geschrieben werden. Da kommt man schon mal etwas ins Schleudern, wenn viel los ist. Nachdem ich die Pupillen von Herrn Schubert kontrolliert habe, gehe ich zurück zu Frau Yildiz, die nach der ganzen Anstrengung eingenickt ist. Auch sie bekommt ein Antibiotikum, und damit bin ich schnell fertig; auch sind die Kurveneintragungen nicht ganz so umfassend wie bei Herrn Schubert.
Auf dem Flur kommt mir ein Riesentross Ärztinnen und Ärzte entgegen; die Visite hat soeben begonnen. Als ich gerade denke, dass jetzt ein Frühstück gut wäre, kommt mir der Vollbart entgegen: «Moin! Herr Schubert muss gleich ins CT , ich melde ihn mal eben dort an, okay?»
Ich ahnte es bereits und verberge meine mäßige Begeisterung erfolgreich, als der Vollbart mich fragt, ob ich es ermöglichen kann, Herrn Schubert innerhalb von zehn Minuten transportfertig zu machen. Für den Transport ins CT muss ich den Patienten an das Transportgerät anschließen, an dem sich ein Beatmungsgerät, Spritzenpumpen und jeweils eine Sauerstoff- und eine Druckluftflasche befinden. Mein akuter Hunger gerät in all dem Aktionismus zur Nebensache, und so beiße ich auf dem Weg zum Transportgerät eher nebenher in meinen Apfel, lege ihn angebissen auf einen Teller in der strategisch günstig liegenden Stationsküche, gehe kauend die schwere Kiste holen, fahre sie in das Zimmer von Herrn Schubert, beiße nochmal in den Apfel und beginne dann, die Spritzen umzustecken, das Beatmungsgerät einzustellen, und erst als ich die Decke, auf der Herr Schubert gelagert wird, herausziehe, sehe ich, dass der Mann in großem Stil abgeführt hat. Herrje!
Ich hole tief Luft und esse schnell meinen Apfel auf. Dann informiere ich den Vollbart, dass ich den Patienten erst mal waschen müsse und dass ich das nun nicht innerhalb von zehn Minuten schaffe. Der knappe Zeitplan vom Vollbart droht somit aus dem Ruder zu laufen, und wir gucken uns genervt an. Er weiß natürlich, dass ich Herrn Schubert unmöglich in seinen Exkrementen liegen lassen kann, nur weil er es eilig hat, und so versucht der Vollbart einen späteren Termin für die Untersuchung zu organisieren.
Mein Ziel ist nun, schnell und effizient voranzukommen, was in etwa heißt: saubermachen, frisches Laken, fertig. Mir schwappt jedoch zuerst das Waschwasser aus der metallenen Waschschüssel, und ich muss es schnell aufwischen, bevor jemand ausrutscht. Zeitgleich kommt der Vollbart mit dem Telefon am Ohr um die Ecke.
«Schaffen wir das in einer halben Stunde?»
Ich nicke matt.
Sehr zu meinem Leidwesen hat der Giftzwerg gerade mit zwei alten Herren zu tun, denen sie beim Waschen assistiert, aber die Schnecke hat Zeit und ist tatsächlich relativ zügig da, um mir
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