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Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation

Titel: Schwester! • Mein Leben mit der Intensivstation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Grunwald
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«perfekte» Nachtdienst ist ruhig und bietet hie und da etwas zu tun, was hübsch der Reihe nach weggearbeitet werden kann. Eine gute Mischung besteht zum einen aus Ruhe zum Lesen oder für Gespräche und andererseits aus regelmäßigen Umlagerungen der beatmeten Patienten, Mundpflege oder Auseinandersetzungen mit verwirrten Männern oder Frauen. So kippt man nicht spätestens um zwei Uhr todmüde vom Stuhl. Und manchmal lässt sich ab einer bestimmten Uhrzeit nicht mehr unterscheiden, wer verwirrter ist: wir oder doch die Patienten?
    Wirklich ruhige Nachtdienste sind allerdings mittlerweile so selten wie eine Zugfahrt ohne Anschlussschwierigkeiten. Seitdem kluge Verwaltungsstrategen überschlagen haben, dass es rein rechnerisch möglich ist, noch mehr Patienten mit der gleichen Personalanzahl zu versorgen, ist es vor der Fahrt zum Nachtdienst sinnvoll, zu überlegen, ob man tatsächlich auch noch ein Buch mitschleppt. Menschen mit schweren Vorerkrankungen wie Diabetes, Nierenfunktionsstörungen oder einem Körpergewicht von 120 Kilogramm bei einer Körpergröße von knapp 165 Zentimetern unterziehen sich einer komplizierten Herzoperation und bieten schwerwiegende Komplikationen wie Wundheilungsstörungen durch den Diabetes, Lungenprobleme, weil ihr Körperumfang sie beim Atmen und bei der Mobilisierung behindert, oder ein Nierenversagen. Die Verweildauer auf der Intensivstation ist so oftmals länger als geplant, denn nach einem komplikationslosen Verlauf werden die Herzpatienten bereits am nächsten Tag nach der OP wieder auf die Normalstation zurückverlegt. So platzt die Station also immer öfter aus den Nähten, sodass wir oft froh sind, dem Frühdienst eine halbwegs aufgeräumte Station übergeben zu können.
     
    Ich sitze am Arbeitsplatz und schreibe die 24-Stunden-Kurve für den nächsten Tag vor. Die Kurvenführung beginnt ab sechs Uhr morgens, endet um sechs Uhr morgens des nächsten Tages und ist auseinandergefaltet etwa so groß wie ein Kleinkind. In die Kurve werden mindestens einmal stündlich die Vitalzeichen der Patienten eingetragen, die Ärzte schreiben dort Röntgenbefunde, Auffälligkeiten aus dem Labor und ihre Untersuchungsergebnisse auf. Des Weiteren werden dort sämtliche Medikamente notiert, was, wann, wie viel, Infusionslösungen, die Urinausscheidung pro Stunde und dergleichen mehr.
    In der Ecke sitzen der Giftzwerg und die Bohnenstange, der mit seiner Kurvenvorbereitung noch wartet, denn seine einzige Patientin, Frau Köhler, wird wahrscheinlich noch in dieser Nacht sterben. Die Angehörigen haben bereits Abschied genommen, es ist ruhig im Zimmer, die Tür ist angelehnt. Die Bohnenstange hat dem Giftzwerg aus purer Gefälligkeit schon eine Kurve geschrieben, und nun krümeln sie beide einträchtig mit Schokoladenkeksen herum.
    Ich bin fertig mit dem Papierkram und stehe auf, um ins Medikamentenlager zu gehen und die Infusionen und Antibiotikaflaschen für meine Patienten zu holen.
    Herr Fuchs und Herr Gerken sind beide beatmet. Sie sind am Tag zuvor mit neuen Aortenklappen versorgt worden, und beide mussten nochmal wegen einer Nachblutung in den OP . Und beide haben oben auf der Normalstation im selben Zimmer gelegen. Das ist schon ein bisschen unheimlich; an sich glaube ich nicht an solche Spökenkiekereien wie «Karma», aber das ist schon sehr viel Zufall.
    Auf leise quietschenden Gummisohlen schleiche ich durch das Zimmer und verteile die Medikamente und Infusionsflaschen, mache meine Eintragungen und geselle mich zu den beiden anderen. Eine gelassene Atmosphäre liegt über der Station; im vorderen Bereich liest der Star Zeitung, und aus dem Radio kommt leise der Verkehrsfunk. Frau Anzug und die Eule machen in aller Ruhe die Nachtvisite, und Frau Anzug ist guter Dinge, denn sie darf gleich nach Hause.
    Die Nacht plätschert ruhig vor sich hin. Der Giftzwerg hilft mir, meine beiden Patienten zu lagern, anschließend lagern wir die Patienten vom Giftzwerg und schlendern zufrieden über den Flur. Man soll das Chaos nicht herbeischreien, ruckzuck kann es hier rundgehen, und wer weiß das besser als wir? Friedlich wurstelt die Eule mit ihren Notizen herum: «Die beiden Jungs lassen wir heute Nacht noch in Ruhe, morgen früh stellen wir die Narkose aus und gucken, dass sie etwas wacher werden.» Damit meint sie Herrn Fuchs und Herrn Gerken, und mir passt dieser Vorschlag gut ins Konzept. Auch ich finde, dass man die Patienten nicht zwingend mitten in der Nacht wach werden lassen muss.

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