Schwesterlein, komm stirb mit mir
Knopf. Morgen würde sie ein letztes Mal ins Präsidium fahren, darum hatte Stadler sie gebeten. Dann war ihre Arbeit dort beendet. Ein guter Zeitpunkt, sich auf die Stelle in Heidelberg zu bewerben.
Die Wohnung wirkte leer ohne Deborah. Liz hatte sich an ihre Gesellschaft gewöhnt, an die Unordnung, ihre bohrenden Fragen, die sie daran hinderten, vor sich selbst davonzulaufen.
Auf dem Esstisch lag ein Zettel.
Meine liebe Liz,
ich verlasse dich nur ungern, aber mein Date wartet unten im Auto. Wünsch mir Glück! Ich ruf dich an, wenn ich zurück in München bin.
Lass dich nicht unterkriegen!
Deb
Lächelnd fuhr Liz mit dem Finger über das Papier. Nein, sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Weder von dem Briefschreiber noch von ihren dummen Ängsten.
Sie ging ins Gästezimmer, um das Bett abzuziehen, in dem Deborah geschlafen hatte. Als sie fertig war, fiel ihr Deborahs Anruf wieder ein, und sie warf einen neugierigen Blick aus dem Fenster. Erst glaubte sie sich zu täuschen, doch dann war sie sicher, dass dort unten jemand stand und heraufblickte.
Dienstag, 29. Oktober, 12:14 Uhr
Stadler hatte sie gleich morgens mit der guten Nachricht empfangen. Jonathan Grothe hatte noch in der Nacht den Mord an Tanja Matzurka gestanden. Allerdings nur den. Und er hatte sich geweigert, detaillierte Angaben zu machen, was den Tathergang betraf.
«Es kann Tage dauern, bis wir die ganze Wahrheit aus ihm herausgeholt haben», hatte Stadler erklärt. «Aber das ist normal. Solche Verhöre durchlaufen verschiedene Phasen. Da sind Ausdauer und gute Nerven gefragt. Birgit und ich haben uns die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, jetzt sind frische Kollegen dran.»
Liz hatte ihm zu dem Erfolg gratuliert und sich daran gemacht, ihren abschließenden Bericht zu schreiben und ihre Sachen zusammenzupacken. Es erschien ihr ziemlich sinnlos, das Profil fertigzustellen, jetzt, wo der Täter gefasst war. Zudem war es unprofessionell. Ein Täterprofil beschrieb immer einen unbekannten Täter anhand der Situation am Tatort. Keinesfalls durften in diese Arbeit Eindrücke von Verdächtigen einfließen, sie verfälschten das Bild. Doch Liz war dem mutmaßlichen Täter begegnet. Wie sollte sie jetzt ein Profil erstellen, unbeeinflusst von dem Anblick des übergewichtigen Mannes im orangefarbenen T-Shirt? Unbeeinflusst von ihrem Wissen über seinen Beruf und seinen religiösen Eifer?
Stadler war das ebenfalls bewusst. «Halten Sie Ihr Wissen über Grothe da raus», hatte er ihr zugeraunt. «Und datieren Sie den Abschlussbericht auf gestern. Ich glaube zwar nicht, dass das Profil vor Gericht eine Rolle spielen wird, aber man weiß ja nie.»
Glücklicherweise hatte Liz das Profil ohnehin fast fertig. Sie hatte überlegt, möglichen religiösen Fanatismus zu ergänzen, ein oder zwei Sätze hinzuzufügen, die ihre Fähigkeiten als Profilerin in einem besseren Licht erscheinen ließen, falls Grothe sich tatsächlich als der gesuchte Serienkiller erwies. Sie hatte mit sich gerungen, dann aber beschlossen, sich selbst treu zu bleiben. Auch auf die Gefahr hin, sich zu blamieren.
Sie hatte sich bereits von Miguel, Birgit und einigen anderen Kollegen verabschiedet, jetzt stand sie mit Stadler auf dem Flur.
«Ich habe einige Neuigkeiten, was den anderen Fall angeht», sagte er leise. «Doch ich möchte ungern hier darüber sprechen. Eigentlich dürfte ich Ihnen nämlich gar nichts dazu sagen. Lust auf ein frühes Mittagessen?»
Liz lächelte. «Schulden Sie mir nicht ohnehin noch eine Einladung?»
«Da hatte ich mir eigentlich etwas anderes vorgestellt. Aber meinetwegen.» Er griff nach seiner Jacke.
Sie fanden einen kleinen Tisch bei einem Italiener in der Lorettostraße. Beide tranken Wasser zu ihrer Pasta. Während sie aßen, plauderten sie über Belanglosigkeiten. Erst als Stadler seinen Espresso getrunken und Liz Zucker in ihren Milchkaffee gerührt hatte, fragte sie: «Was wollten Sie mir denn auf dem Präsidium nicht sagen?»
In Stadlers Gesicht zuckte es kurz, und für einen Moment dachte Liz, er hätte die angeblich vertrauliche Information als Vorwand benutzt, um sie zum Essen einzuladen. Doch dann begann er zu erzählen. «Ruben Keller. Wir haben Teile der Daten auf seiner Festplatte entschlüsselt. Vieles ist völlig belanglos, manches ergibt nicht mal Sinn. Eine Sache jedoch ist äußerst bemerkenswert: Keller hat sich offenbar für einen Mann interessiert, der im September mit einem Mietwagen in Norddeutschland war. Der Mann
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