Schwesterlein, komm stirb mit mir
übernachtete in einem Hotel in Husum, in dem in der gleichen Nacht ein Feuer ausbrach. Die Ursache wurde rasch gefunden. Ein älterer Herr hatte im Bett geraucht und einen Herzanfall erlitten. Der Klassiker. Der Mietwagenfahrer wurde wie alle anderen Hotelgäste als Zeuge befragt. Ende der Geschichte.»
Liz runzelte die Stirn. «Und was ist daran so ungewöhnlich? War es kein Unfall, sondern Brandstiftung?»
«Ich habe heute Morgen mit den Kollegen vor Ort telefoniert. Es gab keine Hinweise auf Brandstiftung. Es hat tatsächlich nur in dem einen Zimmer gebrannt, in dem der alte Herr untergebracht war, und Brandherd war das Bett. Brandbeschleuniger wurden nicht gefunden. Nur die Zigarette. Die Feuerwehr war innerhalb von wenigen Minuten vor Ort und hat Schlimmeres verhindert.»
«Und warum sollte Ruben sich für diese Geschichte interessiert haben?»
Stadler sah sie an. «Der Mann mit dem Mietwagen nannte sich Jan Hendricks. Unter der angegebenen Adresse in Neuss ist aber niemand mit diesem Namen gemeldet. Dort kennt man ihn überhaupt nicht.»
Liz war es plötzlich kalt. Instinktiv umfasste sie die heiße Kaffeetasse. «Jan Hendricks?»
Stadler nickte.
Liz’ Gedanken überschlugen sich. «Ich lasse Ruben Keller nach einem Jan Schneider suchen, der vor sechzehn Jahren Feuer in einer Haftanstalt legte, und zwar in der Nacht, in der mein Bruder Hendrik dort starb», fasste sie zusammen. «Und Ruben stößt auf einen Mann, der sich Jan Hendricks nennt, aber mit gefälschter Identität unterwegs ist und zufällig bei einem Hotelbrand anwesend. Wie hängt das alles zusammen?»
Stadler zuckte mit den Schultern. «Das begreife ich auch nicht. Doch die Sache fängt an, richtig interessant zu werden. Leider habe ich noch immer nicht die Akten über Jan Schneider erhalten. Ich weiß auch nicht, was da in Bonn los ist. Ich werde noch einmal Druck machen. Und wir werden nachforschen, ob dieser falsche Jan Hendricks noch anderswo aufgetaucht ist.»
«Sie wissen also noch immer nicht, wo Jan Schneider augenblicklich lebt? Sein Bewährungshelfer müsste doch die Anschrift kennen, oder?»
«Das sehe ich auch so. Aber die Kollegen mauern. Immerhin habe ich in Erfahrung gebracht, dass Schneider finanziell unabhängig ist. Seine Eltern starben schon vor Jahren, ich glaube, sogar noch vor seiner Verurteilung wegen Brandstiftung und Mordes. Schneider hat mehrere Immobilien und ein paar dicke Aktienpakete geerbt. Ein Vermögensverwalter hat sich in all den Jahren um sein Erbe gekümmert.»
«Das macht es nicht leichter, ihn zu finden», murmelte Liz. Ein Gedanke kam ihr, doch bevor sie ihn festhalten konnte, summte Stadlers Handy auf dem Tisch.
Er warf einen Blick darauf. «Eine SMS von Birgit. Ich hatte sie gebeten, noch einmal mit den Kollegen der Polizeidirektion Husum zu sprechen. Sie sollte fragen, wer der Mann war, der in seinem Bett verbrannte. Man weiß ja nie.» Stadler öffnete die Nachricht und erstarrte.
«Und?» Liz’ Herz schlug schneller.
«Jetzt wird’s wirklich spannend», sagte Stadler und legte das Handy zurück auf den Tisch.
«Was?» Liz hätte die Informationen am liebsten aus ihm herausgeschüttelt.
«Ich denke, wir müssen davon ausgehen, dass es sich bei Jan Schneider und Jan Hendricks um ein und dieselbe Person handelt. Und nicht nur das: Ich fürchte, der Kerl ist eine tickende Zeitbombe.»
«Wieso? Was ist mit ihm?»
«Nicht mit ihm», verbesserte Stadler. «Mit dem Toten in Husum. Wir wissen jetzt, wer er war.»
«Nun sagen Sie schon!» Liz’ Hände waren inzwischen taub vor Kälte, trotz der heißen Tasse.
Stadler beugte sich vor. «Oliver Ziegler. Pensionierter Richter der 3 . großen Strafkammer am Bonner Landgericht. Er hatte beim Prozess gegen Jan Schneider den Vorsitz.»
Dienstag, 29. Oktober, 16:23 Uhr
«Georg?»
Stadler drehte sich um und sah Birgit Clarenberg in der Bürotür stehen. Er war auf dem Weg ins Vernehmungszimmer, um die Kollegen abzulösen. Diesmal würde Miguel die Vernehmung mit ihm durchführen, sie wollten ausprobieren, ob Grothe ohne die Anwesenheit von Frauen leichter auftaute. «Habe ich was vergessen?»
«Nein.» Birgit zögerte. «Ich würde dich trotzdem gern kurz unter vier Augen sprechen. Bitte.»
Verwundert sah Stadler sie an. Birgit war nicht die Frau, die Probleme hatte auszusprechen, was ihr auf der Zunge lag, schon gar nicht ihm gegenüber. Sie waren seit Jahren ein eingespieltes Team und vertrauten einander. Außerdem hatten sie gerade zwei
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