Schwesterlein muss sterben
gebunden. So ausgestattet, marschierte er dann pfeifend auf die Straße und begann in aller Seelenruhe damit, den Bauzaun zwei Grundstücke weiter zu verschönern, direkt vor den Augen der beiden Zivilbullen!
Julia hatte gewartet, bis die Polizisten aus ihrem Wagen gesprungen waren, um ihn zur Rede zu stellen. Dann hatte sie einer älteren Dame angeboten, ihr die Einkaufstasche ein Stück zu tragen, und war keine Minute später an der nächsten Ecke und außer Sicht gewesen.
Die Punks hatten wie üblich den Musikpavillon umlagert. Direkt vor der Statue von Edvard Grieg war ein Schlagzeug aufgebaut, der Schlagzeuger konnte höchsten zwölf oder dreizehn sein, aber er lieferte eine beeindruckende Soloshow, die Punks unterstützten ihn mit anerkennenden Pfiffen und fortwährendem Zugabe-Gebrüll.
Julia hatte keine Schwierigkeiten gehabt, Angel ausfindig zu machen. Um ganz sicherzugehen, dass sie von derselben Person redeten, zeigte sie ihr kurz das Handyfoto, das sie am ersten Abend heimlich von Mikke gemacht hatte, als er bei dem Thai vom Klo zurückkam.
»Klar, das ist er.«
»Und du bist dir sicher?«
»Wenn ich sage, dass er es ist, dann ist er es auch, klar? Und er wohnt in Gamle Bergen, aber alleine findest du das nicht, ist nicht so richtig offiziell, seine Adresse, eher so was wie illegal. – Wir nehmen den Bus, Linie 3, ich hab keinen Bock zu laufen. Aber du bezahlst, ich hab nämlich auch keinen Bock, mich von irgendeinem Kontrolleur erwischen zu lassen.«
Gamle Bergen war das Freilichtmuseum am Nordrand der Stadt, eine Touristenattraktion mit original restaurierten Holzhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert. An schmalen Kopfsteinpflastergassen entlang reihten sich kleine Handwerksbetriebe und alle möglichen Läden, die den Reisegruppen der Kreuzfahrtschiffe mit skurrilen Auslagenwie einem echten Schnurrbartwickler ein Bild längst vergessener Zeiten vermitteln sollten.
Als Kind war Julia oft zwischen Jan-Ole und Merette durch die Gassen gelaufen und hatte sich vorgestellt, dass sie als Familie in einer der winzigen Puppenstubenwohnungen leben würden, direkt über der Bäckerei, in der Jan-Ole ohne Pause heiße Waffeln backte, die Merette und Julia dann vorne im Laden verkauften. Sie hatte nie verstanden, warum die Häuser zwar vollständig eingerichtet, aber nicht bewohnt waren, und fand auch später noch, dass das ganze Viertel viel spannender wäre, wenn es eben nicht nur eine Kulisse wäre.
Umso verblüffter war sie, als Angel ihr jetzt auf der Busfahrt erzählte, dass es so was wie ein »echtes Leben« in den historischen Häusern gab. Typen, die nicht das Geld für eine Wohnung oder ein Zimmer in der Stadt hatten, Junkies in irgendwelchen versteckten Kellern – und eben auch solche Leute wie Mikke, die aus irgendwelchen Gründen nicht auffindbar sein wollten und abgetaucht waren.
»Ich habe auch mal ein paar Wochen da gewohnt«, setzte Angel hinzu, als sie an der Zufahrt zum Museumsdorf ausstiegen. »Aber es war mir irgendwie zu spooky, als ob da nachts noch die Typen von früher durch die Gegend geistern würden.«
»Und die Polizei weiß nichts davon, dass da Leute leben?«
»Keine Ahnung, vielleicht denken sie auch, dass sie dann wenigstens nicht das Problem haben, für irgendwelche Penner Wohncontainer aufstellen zu müssen oder so was. Wichtig ist nur, dass sich da tagsüber keiner blicken lässt, damit die Touris nichts mitkriegen. Was nachts läuft, istihnen egal. Und ist doch auch gut so, sind billige Schlafplätze, sonst müssten nämlich verdammt viele Leute im Park übernachten.«
Sie folgten einer Touristengruppe, bis sie genau vor der Bäckerei standen, die Julia sich früher als »Zuhause« erträumt hatte.
Angel wartete, bis der Stadtführer seine Leute in den Laden gelotst hatte, dann zog sie Julia in einen schmalen Spalt neben einer ehemaligen Druckerei. Es stank nach Nässe und Urin.
»Die Tür zum Keller ist offen, aber du musst vorsichtig sein, es ist scheißdunkel da. Und es gibt auch Ratten, aber die tun nichts, die wollen nur spielen.« Sie kicherte. »Okay, war nur ein Witz. Wenn du drin bist, musst du dich irgendwie bis zur Treppe tasten, und dann hoch bis zum Dachboden. Ist nicht schlecht da oben, Mikke hat überall Plakate hängen, echt ganz gemütlich. Aber vielleicht rufst du lieber erst mal, damit er dir nicht eins überzieht, weil er denkt, du wolltest ihn überfallen.« Sie streckte die Hand aus. »Und jetzt die Knete bitte.«
Julia gab ihr die
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