Schwesterlein muss sterben
sehen, dass sie wusste, was jetzt geschehen würde.
JULIA
Sie fühlte sich seltsam ruhig. Jetzt, da sie sich entschlossen hatte, war es ein bisschen wie vorm Zahnarzt, fand sie: Man hat zwar immer noch Angst davor, aber man wird trotzdem hingehen und sich nicht in allerletzter Minute krankmelden und den Termin verschieben. Ihr Entschluss stand fest, alles Weitere würde sie entscheiden, wenn es so weit war.
»Jetzt sag schon«, drängelte die Punkerin neben ihr. »hast du auch mit ihm gevögelt? He, kannst du doch ruhig sagen, dafür sind die Typen doch da, dass wir sie flachlegen! Obwohl ich echt schon Bessere hatte als ihn, also, ich meine, er war nicht direkt schlecht, aber gut war er auch nicht. Nicht richtig gut jedenfalls. Und bei dir? Wo würdest du ihn einordnen, auf so einer Skala von eins bis zehn? Ich würde sagen, vier vielleicht, höchstens fünf, und du?«
»Auch so in der Gegend, auf keinen Fall mehr.«
»Sag ich doch, nicht schlecht, aber auch nicht gut. Außerdem glaube ich, dass er mal voll der Spießer wird! Ich wette, dass er in ein paar Jahren irgendwo ein Haus mit Markise hat und zwei Kinder und irgendeine Alte, die ihm Zimtschnecken backt, wenn er nach Hause kommt. Genauso wird es kommen, glaub mir, kann ja gar nicht anders sein! Die falsche Musik hört er jedenfalls jetzt schon, hastdu mitgekriegt, was sie da für einen Scheiß aufnehmen, in dem Tonstudio, in dem er arbeitet? Voll der Scheiß, da geht gar nichts mehr, wenn du das hörst!«
»Wie hast du ihn überhaupt kennengelernt?«, stoppte Julia den Redefluss, während sie gleichzeitig versuchte, die Punkerin möglichst unauffällig zu mustern. Klein und eher zierlich, die Jeans starrte vor Dreck und bestand aus mehr Löchern als Stoff, die rote Strumpfhose, die sie darunter trug, sah kaum besser aus. Das T-Shirt war mit Edding bemalt, ein paar der Sprüche kannte Julia, »fuck« schien das Wort zu sein, das für die generelle Botschaft stand, um die es ging, FUCK NORWAY würde der Punkerin allerdings kaum irgendwo Sympathien einbringen. Aber ihr Gesicht strahlte etwas aus, dem sich Julia nur schwer entziehen konnte – eine merkwürdige Mischung aus wütendem Trotz und … Verletzbarkeit! Vor allem die Augen faszinierten Julia, groß und dunkel, fast mandelförmig, und so wach, als würden sie permanent alles scannen, was um sie herum passierte.
»Kann dir doch egal sein, woher ich ihn kenne«, kam jetzt mit leichter Verzögerung die Antwort. »Es gibt viele Möglichkeiten, einen Typen abzuschleppen, vor allem wenn er so zugedröhnt ist, wie Mikke es war.« Sie kicherte kurz. »Manche Leute sollten lieber die Finger von Pops lassen, so sieht es aus, wenn du weißt, was ich meine.«
Sie hielt Julia am Arm fest. »Aber jetzt mal im Ernst, was hast du genau mit ihm vor, wenn ich dich da jetzt hinbringe? Du hast doch nicht irgendwas vor, was dir hinterher leidtut, oder? Also falls du echt sauer auf ihn bist, dann möchte ich da nämlich lieber nichts mit zu tun haben, irgendwelcher Scheiß ist nicht so mein Ding.«
Julia drehte sich zu ihr und griff nach ihren Schultern. »Wir haben einen Deal, richtig?«
»Ja, ich glaube schon.«
»Dann lass es einfach dabei. Du zeigst mir, wo er ist, ich gebe dir dein Geld, und du haust wieder ab. Fertig. Alles andere geht dich nichts an. Wir haben uns nie gesehen, klar?«
»Und du bist nicht vielleicht zufällig bei den Bullen oder so?«
»Nein, ganz sicher nicht. Das ist das Letzte, worüber du dir Sorgen machen musst …«
Nachdem sie sich vor der Werfthalle von Erik verabschiedet hatte, hatte Julia noch mehrmals versucht, Mikke zu erreichen, aber er hatte die Anrufe nicht angenommen. Schon da war sie sich sicher gewesen, dass sie keine Alternative hatte, wenn sie die Sache zu Ende bringen wollte. Sie musste Mikke aufspüren! Vor allem durfte er keine Chance für irgendwelche Ausflüchte mehr haben, sie musste ihn überraschen, wenn er am wenigsten damit rechnete. Und ihn mit den Fragen konfrontieren, die sie sich bereits zurechtgelegt hatte, als sie noch mit Jan-Ole redete! Irgendwie war es eine Sache zwischen ihnen beiden geworden, und sie wollte niemand anderen dabeihaben, weder Jan-Ole noch sonst jemanden. Vielleicht hoffte sie auch immer noch, dass sie sich irrte, aber auch wenn nicht, wollte sie das alleine lösen. Wenn Mikke sie tatsächlich von Anfang an benutzt hatte, wollte sie diejenige sein, die es als Erste erfuhr.
Julia hatte nicht gedacht, dass sie sich noch mal freuen
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