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Schwesterlein muss sterben

Schwesterlein muss sterben

Titel: Schwesterlein muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Wolff
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als würde sie damit etwasandeuten wollen, was definitiv nicht zur Diskussion stand. Noch nicht jedenfalls.
    Aber er war ohnehin schon wieder dabei, ihr eine neue Geschichte zu erzählen. Aus der Zeit, als er noch im Norden gelebt hatte. Wie er mit einem Freund im Hochsommer zum Zelten aufgebrochen war, und als sie dann morgens aus ihren Schlafsäcken gekrochen waren, hatte ein halber Meter Schnee vor dem Zelt gelegen.
    »Dumm gelaufen«, wiederholte er ihren Satz von vorher, »ich kenne so was.«
    Julia war zwar der Zusammenhang zwischen seinem Zelturlaub und ihrem Diskoausflug nicht ganz klar, aber andererseits wusste er ja auch nichts weiter von ihrem bescheuerten Tag, als dass irgendein blöder Hilfscowboy sie dumm angemacht hatte. Und sie hatte plötzlich das Gefühl, dass sie das ändern wollte. Dass sie ihm alles erzählen wollte, was ihr durch den Kopf ging – und zwar sofort!
    »Bist du sehr müde oder hast du noch Lust, mit mir irgendwohin zu gehen? Nur auf ein Bier noch … Oder besser, vielleicht irgendwas zu essen.« Julia versuchte, ihre Frage möglichst harmlos klingen zu lassen, als wäre es nicht wirklich wichtig und vor allem kein Problem, wenn er »nein« sagen würde.
    »Genau das hatte ich dich auch gerade fragen wollen«, kam prompt die Antwort.
    »Aber …?«
    »Ich hab mich nicht getraut.« Er grinste ein wenig verlegen. »Außerdem kenne ich mich ja hier noch nicht so gut aus, keine Ahnung, ob überhaupt noch irgendwo was auf ist«, setzte er schnell hinzu.
    »Ich weiß da was«, sagte sie und griff nach seiner Hand.
    Was tue ich da, dachte sie, was soll das werden? Aber als er zögernd seine Finger mit ihren verschränkte, fühlte sich alles richtig an.
    Der einzige Laden, der Julia auf die Schnelle einfiel, war der pakistanische Take-away nicht weit vom Theater. Sie suchten sich eine Nische gleich neben der Tür zur Küche, allerdings war außer ihnen ohnehin nur noch ein weiterer Gast da – und der hatte den Kopf an die Wand gelehnt und schien mit geschlossenen Augen von etwas zu träumen, was ganz sicher besser war als ein Take-away in Norwegen nachts um halb eins.
    Dass Mikke genau wie sie ohne Zögern das einzige vegetarische Gericht auf der mit Plastik überzogenen Karte wählte, schien Julia nur logisch. Und dass er, noch während sie auf das Essen warteten, rasch hintereinander zwei Dosen Bier mehr oder weniger auf ex trank, schrieb sie seiner Nervosität zu. Er war nervös, ganz eindeutig, vielleicht lag es an dem grellen Neonlicht, das ihnen keinerlei Schutz mehr vor ihren gegenseitigen Blicken bot. Aber er sah gut aus, das musste sie zugeben. Mit dem Anflug von Bartstoppeln am Kinn und den wirren Haaren, die sie jetzt zum ersten Mal richtig sah, nachdem er die Kapuze seines Sweatshirts zurückgestreift hatte. Seine Augen waren von einem merkwürdigen Grau, das ins Bläuliche spielte. Sie war sich nicht ganz sicher, aber es sah aus, als hätte er sich die Lider leicht geschminkt.
    Er musste ihre Blicke bemerkt haben, interpretierte sie aber falsch.
    »Sorry«, sagte er, während er hastig die leere Dose auf der Tischplatte absetzte, »ist sonst gar nicht so mein Ding, mich mit Bier abzuschießen, aber …«
    Es gefiel ihr, dass er sich entschuldigte.
    »Schon okay, stört mich nicht. Außerdem schätze ich mal, du bist es gewöhnt, wenn du ständig mit irgendwelchen Musikern zu tun hast.«
    Er gab keine Antwort. Sein rechtes Knie zitterte auf und ab. Julia war sich nicht sicher, ob er sie überhaupt gehört hatte. Es schien fast, als wollte er dem anderen Gast bei seinem Traum von-was-auch-immer Gesellschaft leisten.
    »Ich meine, bei euch im Studio«, setzte Julia noch mal nach und merkte, wie sie plötzlich selbst nervös wurde. Irgendetwas hatte sich verändert, jede Leichtigkeit war mit einem Mal verschwunden.
    »Das denken alle«, kam seine Antwort mit einiger Verzögerung.
    »Aber …?«
    Er zuckte nur mit der Schulter.
    An seinem Daumen war ein roter Streifen, als hätte er da bis vor kurzem einen Ring getragen. Dass er eine elastische Binde um sein rechtes Handgelenk hatte, war Julia schon vorher aufgefallen, jetzt fragte sie danach.
    »Sehne entzündet, vom Boxenschleppen, ist nicht weiter schlimm, nervt nur.«
    Auch wenn sie nicht Medizin studierte, kam es ihr merkwürdig vor, dass man sich beim Boxenschleppen die Sehne entzünden konnte. Eine Sehnenentzündung konnte nur von einer dauerhaften Belastung kommen, und er würde ja wohl nicht nur Boxen schleppen!
    Julia

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