Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwesterlein muss sterben

Schwesterlein muss sterben

Titel: Schwesterlein muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Wolff
Vom Netzwerk:
zusammenfahren.
    »Brauchen Sie Hilfe? Oder stehen Sie einfach nur darauf, bei anderen Leuten ins Fenster zu gucken?«

JULIA
    Er hieß Mikke. Oder eigentlich Mikael. Mikael und irgendein Nachname, der eher finnisch klang, fand Julia. Eine geballte Anhäufung von unaussprechlichen Vokalen. Und natürlich war er nicht ihr Bruder, auch nicht irgendein Halbbruder, der unerwartet aufgetaucht wäre, um endlich seine Familie kennenzulernen. Mikke hatte absolut nichts mit ihr zu tun, außer dass er eben wie aus dem Nichts aufgetaucht war und sie gerade gerettet hatte.
    Er war neu in der Stadt, kam aus Kirkenes und arbeitete seit einer Woche in einem Tonstudio – das Studio, in dem ausgerechnet Razika gerade ihre neue CD einspielten. Julia stand auf Razika, einer Girls Band aus ihrer Stadt, deren Sommerhit »Love Is All About The Timing« durchaus Ohrwurmqualitäten hatte.
    Die Art, wie Mikke von der Bassfrau sprach, ließ Julia mutmaßen, dass da deutlich mehr war als nur die Begeisterung für ihre Fähigkeiten an der Bassgitarre. Verwirrt stellte sie fest, dass sie augenblicklich eifersüchtig wurde, obwohl sie Mikke gerade mal fünf Minuten kannte.
    Mikke redete und redete, als wollte er sie unter allen Umständen davon überzeugen, dass er absolut harmlos und auf keinen Fall darauf aus war, sie dumm anzumachen. Und sie ließ ihn einfach reden und bedauerte nur,dass er den Arm wieder von ihrer Schulter genommen hatte, kaum dass sie außer Sichtweite des Clubs waren. Aber immerhin hatte er ihr gleich darauf wie selbstverständlich seine Jacke umgehängt, als sie sich frierend über die Arme rieb.
    Die Straßen waren mittlerweile in dieses diffuse Dämmerlicht getaucht, das alle Konturen verschwimmen ließ und typisch war für eine norwegische Sommernacht – viel dunkler würde es kaum werden, noch ein oder zwei Stunden vielleicht, dann würde schon wieder die Sonne hinter dem Ulriken aufsteigen. Aber der Wind hatte aufgefrischt und kam jetzt direkt vom Meer. Julia hüllte sich in Mikkes Jacke und atmete den Geruch nach abgestandenem Zigarettenrauch ein, den das Leder ausströmte. Als sie die Hand in die Tasche schob, zuckte sie unwillkürlich zurück, ihre Finger hatten kaltes Metall berührt, die Form war eindeutig, Mikke trug tatsächlich eine Waffe bei sich.
    »Quatsch!«, entgegnete er lachend, als sie ihn darauf ansprach. »Hol das Ding ruhig raus, dann siehst du, was es ist.«
    Julia sah eine Pistole, die mattschwarz schimmerte und verdammt echt wirkte.
    Mikke schüttelte den Kopf.
    »Gib mal …«
    Er richtete den Lauf auf das Schaufenster neben ihnen und zog den Abzug durch. Julia sah das Glas schon in tausend Splitter zerspringen und dachte noch, dass ihr Bedarf an durchgeknallten Typen für heute eigentlich gedeckt war. Aber dann zitterte nur ein schwacher Lichtstrahl über die Scheibe und blieb an einer Schaufensterpuppe hängen, die unendlich gelangweilt nichts als ein spitzendurchbrochenesEtwas mit roten Strapsen dazu trug – sie standen vor Bergens einzigem Sexshop, und Mikkes Waffe war offensichtlich eine altersschwache Taschenlampe.
    »Von meinem Großvater«, erklärte Mikke grinsend, »hat mir schon öfter gute Dienste geleistet, hast du ja gerade selbst gesehen.«
    Julia grinste zurück. Irgendwie war ihr leicht schwindlig, sie war sich nicht ganz sicher, was der Auslöser dafür war, dennoch war sie froh, dass sie wenigstens den zweiten Cocktail hatte stehen lassen.
    »Danke«, brachte sie jetzt immerhin an, »der Typ hat echt genervt. Und der Türsteher sah nicht so aus, als hätte er vorgehabt, sich einzumischen, um mir helfen …«
    »Sei vorsichtig mit Cowboys«, meinte Mikke nur, »vor allem wenn sie aus Norwegen sind. Was war da drin überhaupt los, irgendeine Kostümparty?«
    »Eine Countryband, ziemlich fürchterlich.«
    »Und du? Wieso bist du da hingegangen?«
    So, wie er seine Frage stellte, war klar, dass er sie wenigstens nicht für jemanden hielt, der freiwillig auf ein Countrykonzert gehen würde. Und genau dafür war sie ihm dankbar.
    »Dumm gelaufen«, sagte Julia. »Blöder Tag, blöder Abend, blöde Nacht. Manchmal geht einfach alles schief, so ist das eben.«
    Sie überlegte, ob sie noch hinzusetzen sollte, dass die Nacht vielleicht doch nicht so ganz daneben war, nachdem er plötzlich aufgetaucht war. Nur damit er nicht glauben würde, sie wüsste seine Gesellschaft nicht zu schätzen, andererseits erschien ihr das in dem Zusammenhang mit der »Nacht« irgendwie zu zweideutig,

Weitere Kostenlose Bücher