Schwesterlein muss sterben
dass ich mich dazu äußere, dann sei bitte auch offen zu mir, sonst kriegen wir nämlich nur Streit. Haben wir ja schon«, setzte sie hinzu und dachte, dass es manchmal fast so war, als wäre sie diejenige, die darauf achten musste, dass sie nicht wieder in ihre alten Rollenmuster verfielen – die Mutter, die alles unter Kontrolle haben wollte, und die Tochter, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte.
Der Kaffee brodelte in der Kanne hoch. Julia schaltete den Herd aus, machte aber keine Anstalten, sich und Merette einzuschenken. Stattdessen blickte sie ihre Mutter fragend an.
»It always needs two to tango«, konnte Merette es nicht lassen anzubringen, aber sie lächelte dabei und nickte entschuldigend.
»Du hast ja recht, Julia, es ist einfach manchmal …«
»Schwierig?«
»Schwierig, ja. – Also gut, ich will versuchen, dir zu erklären, was überhaupt …«
Sie drehte irritiert den Kopf zum Flur.
Julia hatte das Geräusch aus ihrem Zimmer ebenfalls gehört. Aber im Gegensatz zu ihrer Mutter wusste sie ja, dass sie nicht alleine in der Wohnung waren.
Als Merette sie fragend anblickte, zuckte sie mit der Schulter und versuchte, einen möglichst leichten Tonfall anzuschlagen.
»Ich hab Besuch, Mama, keine Panik. Und ja, es ist ein Typ! Und zwar genau der, den ich Freitagnacht kennengelernt habe, als du wissen wolltest, wo ich bin.«
»Freitagnacht? Du meinst …«
Julia nickte.
»Es ist alles okay, glaub mir …«
Merette sprang auf und stieß fast den Stuhl dabei um. Sie war schlagartig kreidebleich geworden.
»Nichts ist okay, gar nichts! Du weißt ja überhaupt nicht …«
Im ersten Moment war Julia einfach nur verblüfft von der Reaktion ihrer Mutter. Sie fragte sich, was eigentlich mit ihnen nicht stimmte, dass sie sich bei dem geringsten Anlass augenblicklich wieder in die Haare bekamen. Aber ihre Mutter ließ nicht nach.
»Heißt das, er ist die ganze Zeit schon hier? Du hast die ganze Zeit diesen Typen in der Wohnung, auch gestern schon, als du mich nicht sehen wolltest?«
Julia merkte, dass sie wieder wütend wurde. Sie war enttäuscht und wusste sich nicht anders zu helfen, als sofort zum Gegenangriff überzugehen.
»Nein«, blaffte sie zurück. »Er ist nicht schon seit gestern hier, er ist vorhin erst gekommen. Und falls du es genau wissen willst, wir waren gerade erst fertig mit Vögeln, als du geklingelt hast. Es hat übrigens Spaß gemacht, falls dich das auch noch interessiert!«
Sie war kurz davor hinzuzusetzen, dass es Merette vielleicht auch mal wieder guttun würde, mit irgendeinem Kerl ins Bett zu steigen und Spaß zu haben. Aber dann biss sie sich nur auf die Unterlippe und sagte leise: »Komm wieder runter, ja? Es ist alles nicht schlimm, so was gibt’s, dass Leute am Sonntagmittag Sex miteinander haben. Also, ich geh jetzt rüber in mein Zimmer und hol ihn. Aber gib dir bitte ein bisschen Mühe, ihn nicht gleich ins Kreuzverhörzu nehmen. Ich weiß ja selber noch nicht mal, ob das Ganze überhaupt irgendwas zu bedeuten hat. Versuch einfach nur, nett zu sein und nicht die Psychologin raushängen zu lassen. Er heißt übrigens Mikke, und er kommt aus Kirkenes und ist erst seit ein paar Wochen in Bergen. Den Rest kann er dir selbst erzählen.«
Sie schob sich an ihrer Mutter vorbei und ging zu ihrem Zimmer. Schlechtes Timing, dachte sie, aber andererseits war es ihr egal, entweder Mikke würde mit der Situation klarkommen oder eben nicht.
»Mikke«, rief sie, während sie die Tür zu ihrem Zimmer aufmachte. »Kommst du mal kurz, ich möchte dir meine Mutter …«
Sie blickte ratlos vom Bett zu ihrem Schreibtisch hinüber und noch mal zurück. Aber ihr Zimmer war leer. Mikke war weg, und sie hatte keine Ahnung, wohin.
Erst jetzt fiel ihr das geöffnete Fenster auf. Sie war sich sicher, dass es geschlossen gewesen war, sie hatte vorhin noch kurz daran gedacht, dass wenigstens niemand auf dem Hinterhof ihr Stöhnen gehört haben würde.
Sie zog den Vorhang beiseite und blickte auf das Flachdach hinaus.
»Das kann jetzt nicht wahr sein«, flüsterte sie vor sich hin. »Er ist echt abgehauen, über die Feuertreppe …«
Sie hörte ihre Mutter hinter sich im Zimmer. Als sie sich umdrehte, stand Merette am Schreibtisch und hielt einen Zettel hoch.
»Hilft dir das hier irgendwie weiter?«
Julia riss ihr den Zettel aus der Hand.
»Sorry«, sagte Merette, »ich dachte ja nur, dass … Ich hab nichts gelesen, aber der Zettel ist von ihm, oder?«
Julia gab keine
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