Schwesterlein muss sterben
darüber! Ganz fest drückte sie Merettes Hand, Merette erwiderte den Druck.
Julia fand, dass sie müde aussah. Und älter, als sie war.
»Noch was«, sagte Merette plötzlich und scheinbar ohne jeden Zusammenhang. »Ich war vorgestern Abend schon mal hier.«
»Weiß ich.« Julia grinste und genoss den Moment der Überraschung in Merettes Gesicht.
»Woher weißt du …?«
»Dieses Haus hat Augen und Ohren, Mama! Nein, aber ganz im Ernst, ich weiß auch, dass du mit der Frau in der ersten Etage geredet hast. Ihr halbwüchsiger Sohn hat mir nämlich dann prompt nachts noch im Treppenhaus aufgelauert, um mir brühwarm zu erzählen, dass meine Mama zu einem kleinen Kontrollbesuch da war. Auch so was, weshalb ich gestern erst recht sauer auf dich war, nein, warte …« Sie hob die Hand, als Merette etwas erwidern wollte. »Ich wusste ja nicht, was los war. Für mich musste es zwangsläufig so aussehen, als würdest du hinter mir herspionieren! Im Übrigen stehe ich auch nicht besonders darauf, nachts in dunklen Treppenhäusern von einem pubertierenden Fünfzehnjährigen abgefangen zu werden. Wobei ich tatsächlich glaube, dass er sich irgendwie ausgemalt hatte, ich würde ihn zur Belohnung gleich in mein Bett einladen … Seine Mutter hat dir erzählt, dass ich angeblich mittags schon mal Besuch hatte, darauf willst du doch raus, oder? Aber du siehst gerade überall Gespenster, fürchte ich …«
»Sie hat von einem Pärchen gesprochen. Ein Typ mit einer Kapuze über dem Kopf und ein Mädchen, das so betrunken war, dass sie nicht mehr alleine laufen konnte.«
Julia nickte. »Der hoffnungsvolle Sprössling hat behauptet, er hätte die beiden auch gesehen.«
»Und?«
»Was weiß ich! Es gibt noch andere Leute hier im Haus, die alle immer mal Besuch kriegen. Ich bin mir sicher, dass das absolut gar nichts mit mir zu tun hatte! Und selbstwenn, dann waren es vielleicht irgendwelche Leute, die mit mir zusammen studieren.« Julia stutzte, dann schüttelte sie den Kopf. »Obwohl sie nicht aus dem Projekt sein können, da waren mittags alle in der Uni.«
»Ich hatte schon überlegt, ob es vielleicht Marie gewesen sein könnte. Was ist überhaupt mit ihr? Du hast gesagt, sie wäre nicht gekommen. Warum nicht? Hast du mit ihr gesprochen?«
»Marie ist nichts als eine saublöde Ziege, die sich gerade mal wieder wichtig macht.«
Julia erzählte kurz, was passiert war. Und dass sie überzeugt davon war, erst mal gar nichts mehr von Marie zu hören.
»Ich weiß echt nicht mehr, wie Marie eigentlich tickt. Ich meine, sie hatte immer schon einen Hang zur Drama-Queen, aber jetzt scheint sie völlig ausgeflippt zu sein. Jedenfalls war sie unter Garantie nicht hier, dann wäre sie auch in die Wohnung rein, sie wusste, wo ich den Schlüssel versteckt hatte.«
»Du hast den Schlüssel versteckt? Wo?«
»Hör auf, es ist alles okay!« Das Letzte, was Julia Merette auf die Nase binden wollte, war die Geschichte mit dem Schlüssel. »Sie hat den Schlüssel nicht benutzt, also war sie auch nicht da! Und wer sollte der Typ gewesen sein? Es war nie die Rede davon, dass sie jemanden mitbringen wollte. Soweit ich weiß, hat sie auch zurzeit gar keinen Freund. Und dieser Carlos vom letzten Sommer war es bestimmt nicht, das ist schon lange wieder vorbei, hat Marie selber erzählt.«
»Schade um die Freundschaft«, meinte Merette nachdenklich. »Vielleicht solltest du doch noch mal …«
»Nein, ganz bestimmt nicht. Dann ist es eben so. Ich komm schon klar damit.«
»Okay.« Merette nahm den Aschenbecher und leerte ihn in den Abfalleimer, bevor sie weiterredete. »Das sieht nach viel Chaos aus bei dir, als hättest du mehrere Baustellen gleichzeitig. Das tut mir leid für dich.«
Julia war klar, dass ihre Mutter auch auf Mikke anspielte. Sie legte Merette den Arm um die Schultern und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.
»So schlimm ist es nicht, ich krieg das schon hin. Aber was ist jetzt mit dir? Ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich mich um dich kümmern müsste und nicht umgekehrt.«
Einen Moment stand Merette ganz still an Julia gelehnt, bevor sie den Rücken straffte und sagte: »Ich weiß noch nicht. Wichtig ist gerade nur, dass ich keine Angst um dich haben muss. Versprich mir, dass du auf dich aufpasst, ja? Und erzähl mir bitte, was aus deiner Geschichte mit diesem Mikke da wird. Nicht weil ich dich kontrollieren will, sondern …«
»Schon klar, kapiert«, erwiderte Julia. »Was hältst du davon, wenn wir jetzt so
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