Schwesterlein muss sterben
hat? So wie im Fernsehen … He, was ist? Hörst du mir überhaupt zu? Hallo! Ich bin’s, Mikke!«
»Du hast doch vorhin gesagt, die Frau aus der Wohnung unten hätte dich angehalten?«
»Ja, voll durchgeknallt die Alte! Aber wieso …?«
Julia erzählte kurz von dem Pärchen, das die Nachbarin gesehen haben wollte.
»Und das war es wahrscheinlich, was sie vorhin meinte. Der Typ hatte auch eine Kapuze auf, deshalb.«
Mikke schlug sich mit der flachen Hand vor den Kopf. »Klar, wahrscheinlich habe ich deine Freundin am Bahnhof getroffen und gedacht, cool, mit der besauf ich mich mal eben! Und dann sind wir so durch ein paar Kneipen gezogen, am Freitagmittag, und als deine Freundin so richtig abgefüllt war, ist ihr wieder eingefallen, dass sie ja eine Verabredung hat. Nur dass du dann nicht da warst! Weshalb wir aus lauter Frust hier oben bei dir vor der Wohnung erst noch die Flasche Wodka niedergemacht haben, die ich zufällig dabeihatte. Und dann ist sie aber so abgestürzt, dass ich sie fast tragen musste! War echt schwer, sie bis zum Hafen runterzuschleppen und ins Wasser zu werfen, aber ging ja nicht anders, ich musste sie ja irgendwie loswerden, damit keiner denkt, ich würde kleine Mädchen betrunken machen, um sie abzuschleppen.«
»Hör auf, Mikke, das ist nicht witzig.«
Julia fragte sich irritiert, worüber er sich eigentlich so aufregte, und er machte ihr fast Angst, als er jetzt wortlos die Teller aus dem Regal nahm und den Tisch deckte.
»Sorry«, sagte er dann unvermittelt, während er den Wein einschenkte. »Aber das ist doch echt bescheuert, ein Typ mit einer Kapuze! Tolle Personenbeschreibung. Mann, Julia, es ist irgendwie immer dasselbe, und das nervt mich! Du brauchst echt nur ein bisschen anders auszusehen, undschon halten sie dich alle für kriminell. Dabei rennt jeder spießige Jogger mit Kapuze rum, und geh mal in irgendeine Bank und guck dir die Typen da an, da hat doch jeder zweite inzwischen einen Ohrstecker oder ist tätowiert! Und mit den Bullen ist es genauso, dreimal darfst du raten, wen sie bei einer Verkehrskontrolle rausholen! Jedenfalls nicht den dicken BMW, der den Kofferraum voll Koks hat, aber mich haben sie noch kaum gesehen, da bin ich auch schon dran …«
Julia hatte bei seinen letzten Sätzen kaum noch hingehört. Natürlich hatte Mikke recht, es war so, wie er sagte. Allerdings war das sicher kein Grund, um sich derartig aufzuspielen. Es musste noch irgendetwas anderes geben, weshalb er so überreagiert hatte. Aber darum ging es im Moment nicht.
»Und was ist, wenn die Frau, die die Nachbarin gesehen haben will, vielleicht wirklich Marie war?«, fragte Julia.
»Dann war ich jedenfalls immer noch nicht der Typ mit der Kapuze!«
Mikke schob sich den Stuhl zurecht und wickelte die Spaghetti auf seine Gabel. »Du isst jetzt erst mal was, und dabei spielen wir das Ganze noch mal durch, einverstanden? Und keine Panik, ich hab mich schon wieder eingekriegt.«
Julia nickte. Sie merkte, wie ihr der Duft der gerösteten Erdnüsse tatsächlich Appetit machte. Nach den ersten Bissen sagte sie: »Danke, dass du für mich gekocht hast, das schmeckt wirklich gut.«
»Weiß ich«, erwiderte Mikke mit vollem Mund. »Also, nehmen wir an, es war Marie. Und sie hat einen Typen dabeigehabt. Vielleicht ihren Freund, den sie dir vorstellen wollte?«
»Glaub ich nicht. Das hätte sie mir am Telefon gesagt.«
»Sie hat also unterwegs jemanden getroffen, im Zug vielleicht. Kennt sie in Bergen noch Leute von früher?«
»Klar, aus der Schulzeit …«
»Das könnte also sein. Und dann haben sie Wiedersehen gefeiert und sich abgeschossen.«
»Aber wenn sie hier im Haus waren, warum sind sie dann nicht in meine Wohnung? Marie wusste, wo ich den Schlüssel für sie versteckt hatte. Nein, warte mal! Der Schlüssel war ja gar nicht mehr da, weil … Das ist zu kompliziert, um dir das zu erklären. Es ist egal, vergiss es.«
Mikke blickte sie fragend an. Als sie nur den Kopf schüttelte, sagte er: »Wie du willst. Aber dann lass uns vielleicht noch mal überlegen, wer der Typ überhaupt gewesen sein könnte.«
»Ich hab keine Ahnung. Ich hab auch kaum noch Kontakt zu irgendjemand von früher, ich war ja die letzten Jahre in Oslo. Und die meisten anderen sind auch nicht mehr hier, glaube ich.«
»Blöd«, meinte Mikke. »Das bringt uns also auch nicht weiter.«
Allein dafür, dass er »uns« gesagt hatte, hätte Julia ihn küssen können. Gleichzeitig merkte sie, wie groß ihre
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