Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwesterlein muss sterben

Schwesterlein muss sterben

Titel: Schwesterlein muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Wolff
Vom Netzwerk:
frappierend.
    Für einen Moment tauchte ein Gedanke in ihrem Hinterkopf auf, der sie nervös nach ihren Zigaretten greifen ließ. Als würde die Ähnlichkeit etwas zu bedeuten haben, was sie übersehen hatte, aber es gelang ihr nicht, den Gedanken zu fassen zu bekommen. Vielleicht war es nur der erste Schreck gewesen, dachte sie, der ihr deutlich gemacht hatte, dass es ebenso gut auch Julia sein könnte, die verschwunden war.
    Ihre unbestimmte Angst, dass Julia tatsächlich bedroht war, wurde innerhalb von Sekunden wieder so stark, dass sie wie starr ins Leere blickte und zu keiner Bewegung fähig war. Erst als die qualmende Kippe ihr fast die Fingerspitzen versengte, kam sie wieder zu sich.
    Sie ging vom Arbeitszimmer in die Wohnung und die Küche hinüber und trank im Stehen ein großes Glas halbwarmes Leitungswasser. Im Radio lief ein alter Song vonDance with A Stranger, »Call me up I’m the invisible man, I can help you, don’t you understand …«
    Merette konnte sich nicht erinnern, ob das Radio schon seit ihrem eher missglückten Versuch lief, nach dem Duschen wenigstens ein paar Löffel Müsli zum Frühstück zu essen. Sie hatte den Song nie wirklich gemocht, vielleicht weil Jan-Ole den Refrain eine Zeitlang wie eine Art persönliches Mantra bei jeder Gelegenheit vor sich hin gesungen hatte, aber jetzt schienen ihr die eigentlich harmlosen Textzeilen plötzlich von einer Doppeldeutigkeit zu sein, die ihr eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
    Verärgert schaltete sie das Radio aus und lief zurück ins Arbeitszimmer. Ohne sich hinzusetzen, tippte sie Frodes Nummer in den Apparat. Frode meldete sich wieder mit diesem heiseren »Ja«, das jedem Anrufer unmissverständlich klarmachen sollte, dass er störte. Als Merette ihren Namen sagte, entschuldigte er sich: »Du weißt ja, wie das ist. Da rufen dich die schrägsten Typen an, die alle irgendwas von dir wollen. Deshalb bin ich so barsch am Telefon. Da weiß gleich jeder, dass es nicht passt. Und wenn es dann jemand ist, mit dem ich gerne rede, kann ich ja immer noch freundlich sein, merkst du ja …«
    Er lachte, als hätte er Merette gerade in die tiefsten Geheimnisse seiner Telefontaktik eingeweiht und würde jetzt ihre Zustimmung erwarten.
    »Eine andere Möglichkeit wäre vielleicht noch, dass du den Hörer einfach danebenlegst«, erwiderte Merette trocken. »Oder du suchst dir gleich einen anderen Job, bei dem niemand darauf angewiesen ist, dass du dich um ihn kümmerst.«
    »He, schon klar, was du sagen willst, tut mir leid, ich habdummes Zeug geredet, weiß ich selber. Vergiss es einfach. Also, du rufst wahrscheinlich an, weil du nach unserem ganz speziellen Freund fragen willst …«
    »Du hattest dich melden wollen nach eurem Termin.«
    »Hatte ich, stimmt. Nur dass er nicht gekommen ist. Herr Karlsen geruhte, heute zur Abwechslung mal nicht zu erscheinen. Und selbstverständlich auch nicht anzurufen, um das Treffen abzusagen! Keine Ahnung, was ich davon halten soll. Er ist nicht wirklich verpflichtet zu kommen, also kann ich ihn jetzt auch nicht mit der Bullerei abholen lassen. Es ist mehr oder weniger seine Entscheidung. Wenn er nicht kommt, kann ich ihn nicht zwingen. Andererseits weiß er, dass er natürlich auf mich angewiesen ist, wenn er sein Geld für die Woche haben will. Okay, warte, ich weiß, was du gerade fragen willst, und ja, ich habe schon versucht, ihn anzurufen. Aber er ist nicht zu erreichen, hat noch nicht mal die Mailbox eingeschaltet.«
    »Und das heißt …«
    »Das heißt, dass wir im Moment nichts machen können. Wie gesagt, spätestens wenn er kein Geld mehr hat, wird er auftauchen, schätze ich. Ist unbefriedigend, weiß ich, aber was soll ich tun? Ist leider nun mal so. Ich hab vorhin auch noch mal kurz mit dem Stellenleiter hier geredet, aber es bleibt dabei, wir können nicht aufgrund irgendwelcher vagen Verdachtsmomente …« Merette hörte, wie er tief Luft holte, bevor er weiterredete. »Das sieht erst in dem Moment anders aus, in dem du kommst und sagst, dass du aufgrund eurer Gespräche klare Hinweise auf irgendeine Gefährdung Dritter siehst. Deshalb haben wir ihn ja zu dir geschickt, weil wir eine psychologische Einschätzung brauchen. Aber solange das nicht der Fall ist …«
    »Können wir nichts machen, schon klar.«
    Merette biss sich auf die Unterlippe, während sich ihre Gedanken überschlugen. Nach wie vor scheute sie davor zurück, Frode von den angeblichen Geständnissen ihres Patienten zu erzählen.

Weitere Kostenlose Bücher