Schwesterlein muss sterben
ich es nicht.«
Bevor Julia noch dazukam, ihm zu erklären, dass sie ihn vielleicht lieber in irgendeiner Kneipe treffen würde, hatte er schon aufgelegt. Einen Moment stand sie mit dem Handy in der Hand da und war kurz davor, ihn noch mal anzurufen, um ihm wieder abzusagen. Sie wusste nicht, ob sie ihn wirklich in ihrer Wohnung haben wollte. Sie wusste auch schon nicht mehr, warum sie ihn überhaupt angerufen hatte! Vielleicht hatte alles nur mit der idiotischen Geschichte zu tun, die der Gärtner ihr da aufgetischt hatte. Vielleicht hatte sie nur testen wollen, ob Mikke mit irgendwelchen Ausflüchten kam …
Aber sie musste sich eingestehen, dass er trotz seiner bescheuerten Aktion am Sonntag zurzeit der Einzige war, bei dem sie das Gefühl hatte, sich ausheulen zu können. Dass er ihr noch ein paar Erklärungen schuldig war, stand auf einem anderen Blatt.
Sie konnte sich nicht aufraffen, schnell noch zu duschen oder sich wenigstens umzuziehen. Sie sah bestimmt fürchterlich aus, aber damit musste Mikke klarkommen. Es war kein Date, was sie da jetzt hatten, sondern … ein Notfall, dachte Julia.
Mikke brauchte knapp vierzig Minuten. Als Julia die Tür öffnete, überfiel er sie mit einem Redeschwall: »Sag mal, die Alte bei dir da unten im Haus, ist die nicht ganz dicht? Weißt du, was die mich eben gefragt hat? Ob ich heute mal ohne betrunkene Freundin hier wäre! Die tickt doch nicht ganz richtig, was soll das?«
»Komm rein, ich erklär’s dir später. Sie hat dich mit jemand verwechselt, wahrscheinlich wegen deiner Kapuze.«
»Bescheuert«, schimpfte Mikke noch mal, als er sich an ihr vorbei in die Wohnung drückte. Jetzt erst sah Julia, dass er eine prallgefüllte Einkaufstasche bei sich hatte.
»Ich hoffe, du hast noch nicht gegessen«, erklärte er, während er bereits wie selbstverständlich ihre Küche ansteuerte. »Ich hab nämlich eingekauft! Heute kocht der Chef selber! Und ich war auch noch im Vinmonopol und hab uns einen guten Beaujolais besorgt.«
»Ich will nichts essen, ich wollte nur reden.«
Mikke setzte die Tüte auf dem Küchentisch ab und blickte Julia forschend an.
»So schlimm ist es?«
Julia nickte.
»Ich muss fürchterlich aussehen, sorry«, sagte sie.
»Geht so«, meinte Mikke. »Oder wenn du das lieber hörst: Du siehst cool aus. Du bist nur ein bisschen bleich um die Nase, aber das wird sich ganz schnell ändern, wenn du erst mal mein Labskaus im Magen hast. Originalrezept von meiner Großmutter, Rindfleisch mit Gurken, Zwiebeln und Roter Bete. He, was ist los?«
»Nimm mich nur mal kurz in den Arm, ja?«
Er trat lächelnd auf Julia zu und zog sie an sich.
»Ich mag gar kein Fleisch, hast du das schon vergessen?«, flüsterte sie dicht an seinem Ohr. Sie merkte, wie er anfing zu lachen.
»Hab ich dich voll erwischt, was? Mann, Julia, glaubst du echt, ich mach hier irgendein Scheißlabskaus für dich? Ich kann das Zeug nicht mehr sehen, seit … vergiss es. Nee, keine Panik, es gibt Spaghetti mit gerösteten Erdnüssenund frischen Salbeiblättern, Originalrezept von mir!«
Er schob sie ein Stück zurück und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Julia hatte plötzlich das Gefühl, dass sie genau das brauchte. Jemanden, der in der Lage war, sie wenigstens für ein paar Minuten von ihren Problemen abzulenken. Marie hatte immer gerne von Seelenverwandtschaft geredet, schoss es Julia durch den Kopf, während sie im gleichen Moment unwillkürlich zusammenzuckte – sie dachte an Marie schon, als gäbe es sie nicht mehr!
»Hör mal, Mikke«, sagte sie, »ist es okay für dich, wenn ich … mich hier einfach nur hinsetze? Und während du mir was zu essen machst, erzähle ich dir, was los ist?«
»Multitasking ist mein zweiter Vorname«, grinste Mikke, wurde dann aber schlagartig ernst: »Natürlich ist das okay, deshalb bin ich ja hier.«
Julia versuchte, das Wenige, was sie überhaupt wusste, so genau wie möglich zu schildern. Mikke unterbrach sie erst, als sie erzählte, dass Marie jetzt offiziell als vermisst gemeldet war.
»Das heißt, die Bullen haben jetzt ihre Beschreibung und das alles?«
»Ja, auch hier in Bergen schon, weil sie ja davon ausgehen, dass Marie wirklich hierhergefahren ist und … hier verschwunden.«
»Aber was sie jetzt genau machen, um sie zu suchen, weißt du auch nicht? Ich meine, bringen sie jetzt ein Foto von Marie in der Zeitung oder wie läuft das? Oder schicken sie auch ihre Leute rum, um jemanden zu finden, der sie vielleicht gesehen
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