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Schwesterlein muss sterben

Schwesterlein muss sterben

Titel: Schwesterlein muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freda Wolff
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dem Platz gesehen hatte.

DRITTES BUCH

    »Turning and twisting, and running out of time«
    (Dance with a Stranger)

JULIA
    Sie war mit den Gedanken nicht bei der Sache, die anderen hatten sich jetzt schon mehrmals beschwert, dass sie ihnen nur im Weg stand und Löcher in die Luft starrte, statt zu helfen. Sie waren in der leerstehenden Werfthalle am Ende der Verftsgate und legten letzte Hand an ihre Installation, eher ein Environment, das begehbar war und den gesamten Raum einnahm – eine aus Pappmaché, Farbe und Isolierschaum nachempfundene Wasserfläche, noch wirkte alles ein wenig steif und leblos, aber wenn später die Scheinwerfer dazukämen, würden die Wellenberge täuschend echt aussehen. Die Kommilitonen, die die Lichtstimmungen programmierten, waren gut und wussten genau, wie sie den gewünschten Effekt erzielen konnten.
    Julia stand mitten in der Spirale aus Plastikmüll, der sich wie ein ausgefranster Teppich über die Wellen hinzog und zu einem Strudel verdichtete, der das Zodiak unweigerlich auf den Meeresboden zu ziehen schien. Die Bugspitze war bereits unter einer gischtenden Welle begraben, die lebensgroßen Puppen in ihren grellorange leuchtenden Schwimmwesten, die die Kreuzfahrttouristen darstellen sollten, klammerten sich hilflos an die Bordwand. Und genau das war der inhaltliche Link, die Botschaft, die das Kunstwerk vermitteln sollte: Natürlich waren es nicht nurdie Kreuzfahrttouristen, die die Meere mit ihrem Müll erstickten, aber sie waren stellvertretend für alle anderen, die sich einen Dreck darum kümmerten, was sie anrichteten.
    Was die Gruppe der Kunststudenten zeigen wollte, war, dass die Müllteppiche, die längst weite Flächen der Meere bedeckten, irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft auch das Ende der Zivilisation bedeuten würden – eine Anklage gegen die Verschmutzung der Meere, die Geister, die die Menschen gerufen hatten und die sie nicht mehr loswurden, während sie unaufhaltsam auf den alles verschluckenden Strudel zutrieben.
    Julia war von Anfang an mit Begeisterung bei der Sache gewesen, von ihr kam auch die Idee mit den verendeten Seevögeln und den halbzerfetzten Robbenleibern, die zwischen den Plastikflaschen und Styroporverpackungen trieben.
    »Wir müssen die Leute mit allen Mitteln wachrütteln«, hatte sie die anderen zu überzeugen versucht, die zuerst noch skeptisch gewesen waren. »Klar ist das Bild mit dem Zodiak gut, das in den Strudel gezogen wird, aber das schockiert nicht genug. Wir brauchen noch so etwas wie einen Robbenschädel, der dich mit seinen dunklen Babyaugen aus dem Müll heraus anstarrt, der macht dir Angst, weil er an deinen Beschützerinstinkt appelliert, weil du sofort ein schlechtes Gewissen bekommst, was du den hilflosen Tieren antust, ohne dass sie sich wehren können.«
    »Da spricht die Tochter einer Psychologin«, hatte Erik grinsend erklärt. Doch schließlich waren sie Julias Vorschlag gefolgt, und die Tierkadaver, die sie mit Fell- und Knochenresten und Federn aus der Requisite des Nationaltheaters gebastelt hatten, wirkten selbst unter dem grellen Arbeitslicht schon verstörend genug.
    Allerdings waren Julia heute zum ersten Mal Zweifel gekommen, ob das Ganze überhaupt irgendeinen Sinn haben würde, irgendwie erschien ihr plötzlich alles viel zu konstruiert zu sein, als hätte das Environment kaum eine Chance, der erschreckenden Realität auch nur nahe zu kommen. Gleichzeitig wusste sie, dass das Unbehagen, das sie empfand, vor allem mit ihrer eigenen Situation zu tun hatte, ihre Gedanken kreisten unablässig um Marie.
    Erik trat mit einem Plastikbecher Kaffee auf sie zu und hielt ihn ihr hin.
    »Hej, du siehst echt fertig aus, was ist los?«
    »Danke«, sagte Julia nur und ließ offen, ob sich ihre Antwort auf den Kaffee oder Eriks fragwürdiges Kompliment bezog.
    »Willst du vielleicht reden? Ich meine, wir können auch einen Moment vor die Tür gehen und …«
    »Nein, lass mal. Ich möchte wirklich nicht darüber sprechen, sei mir nicht böse, es hat nichts mit dir zu tun.«
    Julia nahm einen Schluck Kaffee und schloss kurz die Augen. Sie hoffte, dass ihre Reaktion deutlich genug für Erik war, um sie in Ruhe zu lassen. Tatsächlich gab er auch keine Antwort mehr, aber er ging auch nicht. Sie konnte spüren, dass er sie beobachtete.
    »Mann, Erik!«, platzte sie heraus. »Ich hab ein Problem, und damit muss ich alleine klarkommen, kapierst du das nicht?«
    »Aber vielleicht kann ich dir helfen?«
    »Nein, kannst du

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