Schwesterlein muss sterben
geht, irgendwo, wo wir für einen Moment ungestört sind.«
Der Arzt zuckte mit der Schulter und deutete mit dem Kopf auf eine verglaste Nische, die, nach den Plastikstühlen zu urteilen, als Warteraum vor den Untersuchungen diente.
»Danke«, sagte Merette, nachdem er die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.
In wenigen Sätzen schilderte sie, worum es ging. Dass sie die behandelnde Psychologin war, dass sie ein Problem mit dem Patienten hatte, worüber sie nichts sagen konnte, dass der Arzt Aksel nach der Untersuchung bitte nicht entlassen sollte.
»Vielleicht brauchen wir die Polizei hier«, sagte sie. »Nur dass Sie wissen, was auf Sie zukommen könnte.«
Er nickte, ohne nachzufragen, Merette hatte das Gefühl, dass es kaum noch etwas gab, was ihn erschüttern konnte. Aber vielleicht war er auch nur hoffnungslos übermüdet.
»Dann wollen wir mal«, sagte er leise. »Am besten warten Sie hier. Am Eingang vorne gibt es einen Kaffeeautomaten. Aber fallen Sie nicht auf die schönen Namen rein, egal, was sie drücken, die Brühe schmeckt immer gleich.«
Merette blickte hinter ihm her, wie er im Behandlungszimmer verschwand. Aber noch bevor er die Tür geschlossen hatte, kam er auch schon zurück auf den Gang und blickte nach links und rechts, dann rief er nach einer Schwester.
Merette trat aus der Nische und hielt den Arzt am Arm fest.
»Was ist los? Stimmt irgendwas nicht?«
»Das kann man so sagen. Hier, sehen Sie selbst!«
Er zeigte durch die offene Tür hinter sich. Das Behandlungszimmer war leer. Die Trage stand noch mitten im Raum, aber Aksel war verschwunden. Auf dem Boden lag eine aufgerissene Plastikpackung, daneben eine benutzte Einmalspritze.
»Das ist nicht wahr!«, brachte Merette entgeistert heraus.
»Ich fürchte, doch, Ihr Patient hat sich offensichtlich selbst versorgt und entlassen.«
Die Schwester hatte niemanden gesehen, der Pfleger, der sich um Aksel gekümmert hatte, war ebenfalls verschwunden.
Mit einem flüchtigen Blick stellte der Arzt fest, dass eine Packung Schmerzmittel aus dem Arzneischrank fehlte.
»Und Verbandszeug«, sagte er.
Merette stürmte an ihm vorbei in Richtung Ausgang. Aber sie wusste schon, dass sie Aksel nicht mehr wiederfinden würde. Jedenfalls nicht hier.
X
Das Schmerzmittel ließ alles um ihn herum wie in einem Nebel versinken. Er konnte sich nur noch bruchstückhaft daran erinnern, wie er vom Krankenhaus zurück zum Aquarium gekommen war, um sein Moped zu holen. Da war ein Lastwagen gewesen, von einer Firma mit Tiefkühlkost, das wusste er noch, und der Fahrer war gerade dabei, irgendwelche Lieferscheine auszufüllen, als er an der Beifahrerseite eingestiegen war und sich mühsam auf den Sitz gezogen hatte.
»Stell mir jetzt bloß keine Fragen«, hatte er gekeucht. »Fahr einfach los, hörst du! Bring mich in die Stadt, irgendwo zum Hafen, da kannst du mich rauslassen. He, Mann, was ist los? Rede ich Chinesisch, oder was? Du sollst fahren, und zwar jetzt!«
Der Fahrer war einer von diesen alten Säcken, die es nicht geschafft hatten, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen. Unter Garantie hatte er mal irgendwas Wichtiges studiert, aber dann voll versagt. Ein Loser, der jetzt zusehen musste, wie er mit dem Ausfahren von Tiefkühlkost Frau und Kinder durchbrachte und die Raten für das Haus bezahlte, das er sich nicht leisten konnte.
Aber zumindest hatte er noch so viel Grips zusammen, dass er nicht lange rumzickte, sondern tatsächlich seine Karre startete und losfuhr. Vielleicht hatte auch der blutige Turnschuh seine Wirkung nicht verfehlt, und der Typ hatte ihn für einen Junkie gehalten und kein Interesse daran gehabt, als Nächstes mit einer schmutzigen Nadel bedroht zu werden.
Er hatte nur einmal gesagt: »Ist das okay, wenn ich dich zum Strandkai bringe? Am Torget selber kann ich mit dem Laster nicht halten …«
»Laber nicht, fahr einfach. Ich sag dir schon, wo ich rauswill.«
Wie er es dann geschafft hatte, sich mit seinem kaputten Fuß die gesamte Sundtsgate hochzuschleppen, wusste er nicht mehr. Einmal hatte er sich in den Eingang eines Ladens für Segelklamotten gedrückt, weil er gerade noch rechtzeitig den Streifenwagen entdeckt hatte, der im Schritttempo die Straße entlanggekrochen kam. Aber dann hatten die Bullen plötzlich ihr Blaulicht und die Sirene eingeschaltet und mit quietschenden Reifen gewendet, um zurück in die Innenstadt zu rasen.
Die Fahrt mit dem Moped nach Sotra hinaus war echt grenzwertig gewesen. Das Schmerzmittel
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