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Schwestern der Dunkelheit

Schwestern der Dunkelheit

Titel: Schwestern der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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hier zu sein, es wollte die Sägespäne seines Käfigs, wollte Sicherheit. Ihm gefielen die Klinikgerüche nicht, ebenso wenig wie die riesigen, seltsamen Finger, die irgendwie vom Himmel herunterkamen.
   Zu Hause - Platz, Nest - Platz. Und dann geschah etwas Seltsames. Etwas formte sich in dem kleinen Meerschweinchengeist, mehr Geruch und Geschmack als ein Bild. Madame Curie stellte sich vor, etwas zu fressen ... etwas Knackiges und leicht Scharfes. Fressen und fressen und fressen.
   »Gibt es irgendeinen Leckerbissen, den sie besonders mag?«, fragte Thea zweifelnd. »Etwas wie Kohl?«
   Erik blinzelte, dann richtete er sich auf, als hätte ihn ein elektrischer Schlag getroffen. Er starrte sie mit seinen Haselnussaugen an. »Das ist es! Du bist brillant!«
   »Was ist es?«
   »Was du gesagt hast. Sie hat Skorbut!« Er flitzte aus dem Büro und kam mit einem dicken Buch mit sehr dünnen, sehr klein bedruckten Seiten zurück. »Ja - hier steht es. Anorexie, Lethargie, vergrößerte Gelenke ... Sie weist alle Symptome auf.« Er blätterte fieberhaft, dann sagte er triumphierend: »Wir brauchen ihr lediglich etwas Kohl zu geben oder vielleicht etwas Ascorbinsäure in ihrem Trinkwasser.«
   Skorbut - war das nicht eine Krankheit, die früher Seeleute bekamen? Wenn sie auf langen Reisen waren, ohne frisches Obst oder Gemüse? Und Ascorbinsäure war ... »Vitamin C!«
   »Ja! Es war heiß, und wir haben ziemlich hartes Wasser bei uns zu Hause - all das könnte das Vitamin C aus ihrer Kost gezogen haben. Aber das lässt sich leicht in Ordnung bringen.« Dann schaute Erik Thea an und schüttelte staunend den Kopf. »Ich habe jahrelang alles gelesen, was ich nur konnte, und außerdem hier gearbeitet, und du siehst dir das Tier bloß an, und du weißt Bescheid. Wie machst du das?«
   »Sie hat Madame Curie gefragt«, stellte Rosamund energisch fest.
   Thea warf ihr einen wachsamen Blick zu. Wie kam es, dass diese ganze Familie so scharfsichtig war? »Ha ha«, machte sie mit unbeschwertem Tonfall.
   »Ich mag dich«, erwiderte Rosamund, genauso entschieden wie zuvor. »Also, wo bekomme ich Kohl her?«
   »Geh und schau hinten bei den Vorräten nach«, antwortete Erik. »Wenn keiner da ist, können wir immer noch Vitamindrops benutzen.«
   Rosamund trabte davon. Erik schaute ihr liebevoll nach.
   »Sie ist ein interessantes Kind«, bemerkte Thea.
   »Sie ist eine Art Genie. Und außerdem die jüngste militante Feministin, die ich kenne. Es ist unglaublich, aber sie hat die örtlichen Boy Trekkers verklagt, musst du wissen. Sie wollen sie nicht aufnehmen, aber die Girl Trekkers gehen nicht ins Gelände. Sie flechten und sticken und häkeln.«
   Thea sah ihn an. »Und was hältst du davon?« 
   »Ich? Ich fahre sie zum Anwalt, wann immer Mom es nicht schafft. Ich schätze, das ist besser, bevor sie noch handgreiflich wird. Außerdem hat sie recht.«
   So einfach ist das also, dachte Thea. Sie beobachtete Erik, während er die blaue Decke zusammenfaltete, und hörte im Geist eine Moderatorenstimme, die den Preis einer Gameshow anpries.
   Sehen Sie sich diesen Jungen an. Er ist zuvorkommend, liebevoll und tiefsinnig. Mutig. Überaus scharfsichtig. Schüchtern, aber mit einem schrägen Sinn für Humor. Er ist klug, er ist ehrlich, er liebt Tiere ...
   Er ist ein Mensch.
    Es ist mir egal.
   Sie fühlte sich - seltsam. Als hätte sie zu viel Yemonjawurz eingeatmet. Die Luft wirkte süß und schwer und irgendwie kribbelnd, als sei sie durchsetzt von tropischer Elektrizität.
   »Erik ...«
   Sie ertappte sich dabei, wie sie seinen Handrücken berührte. Er ließ sofort die Decke los und drehte seine Hand, um ihre zu umfassen. Aber er sah sie nicht an. Er starrte immer noch auf den Tisch vor sich. Seine Brust hob und senkte sich.
   »Erik?«
   »Manchmal denke ich, wenn ich blinzele, wirst du verschwinden.«
    Oh, Eileithya, dachte Thea. Oh, Aphrodite. Ich sitze schrecklich in der Tinte.
   Aber es war schrecklich und zugleich wunderbar. Sie fühlte sich verlegen und zugleich ungeheuer sicher, war zu Tode verängstigt und hatte zugleich vor nichts Angst. Und alles, was sie wollte, war so einfach. Wenn er nur genauso empfand, würde alles gut werden.
   »Ich kann mir mein Leben einfach überhaupt nicht mehr ohne dich vorstellen, aber ich habe solche Angst, dass du fortgehen wirst«, gestand Erik, den Blick immer noch auf den Schreibtisch geheftet.

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