Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwestern der Nacht

Schwestern der Nacht

Titel: Schwestern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masako Togawa
Vom Netzwerk:
dem ich suche, also werde ich mir nicht die Mühe machen, Sie zu treffen.«
    »Aber gnädige Frau! « platzte Oba heraus. »Da muß ein Irrtum vorliegen! Mein Herr Honda hat mit Sicherheit eine tiefe Stimme! «
    Statt einer Antwort hängte sie ein. Er bezahlte seine Rechnung und verfluchte das Geld, das er unnötigerweise für Kaffee und Kuchen rausgeschmissen hatte.

Das erste Opfer
    5. November:
    Kimiko Tsuda wird im Minami-Apartmenthaus
    in XX, Kinshi-Cho, Koto Ku, erdrosselt
I
    Er wachte kurz vor sieben auf. Ein Reisender, der offensichtlich früh aufbrechen mußte, marschierte in Slippern über den Korridor. Es waren drei Monate vergangen, seit Ichiro Honda ins Hotel Toyo gezogen war.
    Er streckte eine Hand nach dem Reisewecker auf dem Nachttisch aus und stellte ihn ab. Er schlief in letzter Zeit ausgesprochen leicht — wie ein alter Mann. Woran lag das wohl? Wahrscheinlich an seinem regen Nachtleben, vor allem an den Frauengeschichten.
    Er stieg aus dem Bett und ging, noch im Schlafanzug, ins Bad. Es war der Beginn seiner täglichen Morgenroutine. Nach dem Waschen nahm er ein frisches Handtuch aus dem Regal, trocknete sich das Gesicht damit ab, knüllte es anschließend zusammen und schleuderte es achtlos in die Ecke. Selbstbewußt wie ein amerikanischer Filmschauspieler holte er einen Anzug aus dem Wandschrank und warf ihn aufs Bett. Dann begann er sich anzuziehen; ein gestärktes Hemd, eine schmale Krawatte — geschmackvoll und in dunklen Farben gehalten —, Manschettenknöpfe aus Perlmutt ... Er ging mit der üblichen Sorgfalt vor. Heute band er seine Krawatte ein zweites Mal, nachdem er einen prüfenden Blick in den Spiegel geworfen hatte, doch ansonsten verlief alles normal. Es war ihm anzumerken, daß er ans Hotelleben gewöhnt war.
    Auf dem Gepäckständer lag ein blauer, mit Aufklebern der besten Fluglinien der Welt und der berühmtesten Hotels der Vereinigten Staaten tapezierter Koffer. Es war ein teures Stück und abgesehen von einem weiteren Koffer im Wandschrank sein einziges Gepäck.
    Er war in diesem Hotel als dauerhaft logierender Reisender bekannt und stimmte mit dieser Einschätzung durchaus überein. Jedes Wochenende pendelte er nach Osaka, was schließlich auch Reisen war. In Osaka lebte seine Frau — Taneko —, die er während seines Studiums in den Vereinigten Staaten geheiratet hatte. Nach ihrer Rückkehr hatte sie sich geweigert, in Tokio zu wohnen, obwohl sie hier das College besucht und einmal eine kleine Rolle in einem Theaterstück bekommen hatte. Sie sagte, sie wäre in ihrem Elternhaus in Osaka glücklicher, und so verbrachte Ichiro Honda die Werktage in einem Tokioer Hotel.
    Tanekos Vater erfreute sich bester Gesundheit und war Präsident der D-Corporation, einer angesehenen Aktiengesellschaft. Dank seines Vermögens war Taneko von Kindesbeinen an daran gewöhnt, ihren Kopf durchzusetzen. So lebte sie mit ihrem Vater und einer Haushälterin in dem riesigen Anwesen in Ashiya, und Ichiro mußte jedes Wochenende nach Osaka und wieder zurück fahren. Sie hatte sich an diesen Lebenswandel gewöhnt, er schien für sie sogar die natürlichste aller Daseinsformen zu sein. Auch Ichiro hatte schließlich begonnen, sein Doppelleben zu genießen, das ihm für den Großteil der Zeit die Vorteile eines Junggesellenlebens bescherte. Was seine Frau während seiner Abwesenheit tat, ging ihn nichts an; er fragte sie auch nicht, wie sie sich die Einsamkeit erträglich machte. Die Haushälterin hatte ihm anvertraut, daß sich seine Frau vor einem Monat in einem Winkel des Gartens ein kleines Atelier hatte bauen lassen, wohin sie sich manchmal für zwei oder drei Tage zurückzog. Wenn sie das glücklich machte — um so besser.
    Genau wie er nicht eifersüchtig auf seine Frau war, interessierte sich auch Taneko nicht dafür, wie er sich die Zeit in Tokio vertrieb. Er überbrückte die Distanz zwischen beiden Städten mit dem Flugzeug, schien aber unter seelischer Anspannung zu stehen, wenn er in Osaka war. Auf dem Rückflug nach Tokio wirkte er immer bedrückt. Sonntagabends landete sein Flugzeug in Haneda; die übrigen Passagiere eilten beflügelt dem Ausgang zu, nicht so er — er wirkte eher, als würde er bei einem Trauerzug mitmarschieren. Er nahm ein Taxi zum Hotel und saß während der Fahrt stumm und in sich zusammengesunken auf dem Rücksitz; die Samstagnächte waren ihm offensichtlich eine Qual. Sobald er im Toyo ankam, legte er sich ins Bett — der einzige Abend der Woche, an dem er

Weitere Kostenlose Bücher