Schwestern der Nacht
das tat.
Um Punkt neun Uhr am Montagmorgen fand er sich dann in seinem Büro ein, einem eigenen Raum im sechsten Stock der K-Präzisionsmaschinenfirma im Herzen des Geschäftsviertels. Er hatte einen angenehmen, ziemlich hochgestellten Posten als Computerspezialist. Er besuchte als Berater große Firmen, Kaufhäuser und Fabriken, um der Kundschaft den effektivsten Weg der Problemlösung zu zeigen.
Zwischen neun und fünf Uhr, fünf Tage die Woche, zuzüglich der Zeit, die er in Osaka verbrachte, führte Ichiro Honda ein unbescholtenes Leben. In den Augen seiner Mitmenschen war er ein treu ergebener Ehemann und gewissenhafter Arbeiter. Für ihn selbst fand das wahre Leben allerdings erst in den Abendstunden statt. Ichiro Honda, Computer-Spezialist und Gatte einer reichen Frau, verschwand abends von der Bildfläche. Anfangs hatte er sich einsam und gelangweilt treiben lassen, später dann begonnen, Trost in den Armen von Frauen zu suchen.
Jeden Tag ging er direkt nach der Arbeit ins Hotel zurück, um sich zu waschen, sich umzuziehen und zu essen. Er spülte die Mahlzeit jedesmal mit einer Flasche Bordeaux hinunter. Vom Speisesaal aus schlenderte er ins Foyer, um dort die englischen und japanischen Abendzeitungen zu lesen. An manchen Abenden unterhielt er sich mit einem Engländer, der gelegentlich im selben Hotel zu Gast war. Honda war stolz auf sein perfektes Englisch. Am liebsten sprach er bei diesen Zusammentreffen über Theater und Literatur.
Punkt 20 Uhr, wenn es draußen dunkel war, nahm er sich vor dem Hotelportal ein Taxi; sein Abend konnte beginnen. Bevor er einstieg, stand er noch einen Moment im Freien und sog den Duft Tokios ein, das nur aus Dunkelheit und Neonlicht zu bestehen schien. Zufrieden, daß die Nacht die Stadt wieder erobert hatte, machte er sich dann auf den Weg in die City, dorthin, wo ihn die Frauen erwarteten...
Professionelle interessierten ihn nicht, er hatte es auf die Einsamen abgesehen, die sich nach ein bißchen Liebe verzehrten. Um sie zur Strecke zu bringen, zog er Nacht für Nacht durch Cafés, Bars, Diskotheken und sogar Kinos, aber immer abseits der Geschäftsviertel und bekannten Vergnügungszentren. Bürogehilfinnen, Verkäuferinnen, Sekretärinnen, Kosmetikerinnen —. . . sogar Studentinnen — sie alle lauerten ihm in den Diskotheken oder Cafés und Kinos auf. Sie lauerten ihm auf, doch in Wirklichkeit waren sie seine Opfer; er mußte sie nur finden.
Für ihn waren Frauen nicht mehr als Blech-Zielscheiben in einer Schießbude. Der Mann zieht den Abzug, die Frau fällt um, aber schließlich — sind die Frauen nur aus Blech und stehen wieder auf. Er konnte also schießen, soviel sein Herz begehrte. Jedenfalls so lange, bis die Zielscheibe einmal nicht aus Blech war und Blut fließen würde...
Ichiro Honda hatte ein Händchen für Frauen. Er besaß die Gabe, ihre Psyche schon bei der ersten Begegnung zu durchschauen. Interessierte sie sich für die schönen Künste? Sehr gut, dann war er eben Musiker oder Maler. Er war schon Matrose, Pilot, Dichter gewesen ... Ihn als Barkeeper zu erleben, seinen Erklärungen zu lauschen, wie man einen Drink mixt, reichte aus, jedermann durstig zu machen. Und was seine Nationalität betraf, hatte es sich als am effektivsten erwiesen, so zu tun, als stamme er von außerhalb Japans. Je nachdem war er in England oder Paris geboren oder hatte seine Kindheit in Chicago verbracht. Ins Detail mußte er gar nicht erst gehen — das allein erfüllte normalerweise schon seinen Zweck. Als Kind hatten sich seine Klassenkameraden über sein fremdländisches Aussehen lustig gemacht, doch heute kamen ihm seine klaren, fein geschnittenen Gesichtszüge sehr zugute.
Er besaß sogar einen britischen Paß, längst abgelaufen und von seinem Besitzer weggeworfen. Er hatte drei Tage gebraucht, um Passbild und Unterschrift zu fälschen und die Daten zu korrigieren, aber die Mühe hatte sich gelohnt. Er verstieß damit gegen kein Gesetz; er verwendete ihn niemals am Zoll oder bei der Einwanderungsbehörde, immer nur bei Frauen. Er plazierte die blaue Hülle mit dem goldenen Wappen einfach ostentativ auf dem Nachttisch oder einer Bartheke. Worte waren vollkommen überflüssig — eine Frau sah sie und glaubte.
Obwohl er solche Taktiken anwendete, war er insgeheim überzeugt, Frauen seien aufgrund einer angeborenen Gabe, eines übersinnlichen Gespürs, seine natürliche Beute. Oft wachte er bereits mit einer Vorahnung auf, welche Frau ihm der Tag bringen würde.
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