Schwestern der Nacht
anrufen, kann man Ihnen sicher weiterhelfen.«
Plötzlich schoß dem Professor durch den Kopf, daß eine seltene Blutgruppe einer Eheschließung möglicherweise nicht gerade förderlich war, und er versuchte seinen Fehler wiedergutzumachen.
»Na ja, eine ungewöhnliche Blutgruppe muß sein Eheleben ja nicht beeinträchtigen. Rufen Sie einfach im Institut an. Sie können sich gern auf mich berufen, wenn Sie möchten. Die Zentrale wird Sie verbinden. Übrigens — wie geht es Honda denn? Ich glaube, er ging in die Staaten und studierte dort Computerwissenschaften. Soweit ich weiß, arbeitet er heute in diesem Bereich und hat sehr viel zu tun. Wir haben ihn seit Jahren nicht gesehen.«
»Oh... ich werde ihm ganz bestimmt ausrichten, daß er Sie mal besuchen soll«, erklärte die nasale Stimme hastig. Dann legte die Frau mit einer Entschuldigung auf und schnitt dem Professor das Wort ab.
Sie wählte eine andere Nummer, doch diesmal wurde die Alte nicht schlau aus ihrem Geschwätz. Es ging wohl irgendwie um Blut, aber alles klang sehr kompliziert. Nicht nur wegen dieses Gesprächs blieb die Frau der Alten im Gedächtnis, sondern auch, weil sie einen so schlechten Eindruck hinterließ: Sie hatte nichts gekauft, dafür aber die ganze Zeit das Telefon mit Beschlag belegt. Die Alte beförderte ihre Brille auf ihren rechtmäßigen Platz und schaute ihr nach. Genau in diesem Moment bemerkte sie den Leberfleck an ihrer Nase.
Die alte Frau war abergläubisch. Klar, dachte sie, ein solches Mal im Gesicht einer Frau konnte ja nur große Schlechtigkeit bedeuten.
Wenige Stunden später regten sich in Professor Matsuyama Zweifel wegen des Telefongesprächs.
Er sprach mit seiner Sekretärin darüber. »Ich hatte vorhin eine Anfrage über einen meiner Absolventen«, sagte er. »Von einem Ehevermittlungsinstitut. «
»Um wen ging es denn?«
»Um Ichiro Honda.«
Seine Sekretärin war erstaunt. »Das ist ja seltsam«, meinte sie. »Wieso?«
»Wenn ich mich recht entsinne, hat er schon vor einigen Jahren geheiratet. Lassen Sie mich nachdenken ... das war doch damals in Amerika, oder? Eine Japanerin aus reichem Hause, die an derselben Universität studierte. Eine richtige Schönheit, was man so hört. Sie haben einfach zu viel um die Ohren, Professor, das ist Ihr Problem. Wie kann man so was nur vergessen!«
Der Professor murmelte eine Erwiderung und wechselte das Thema. Jetzt erinnerte auch er sich daran, vor fünf oder sechs Jahren eine wunderschöne, in Englisch und Japanisch bedruckte Hochzeitskarte bekommen zu haben.
Er floh nach draußen und ließ seinen Blick über das Gelände schweifen. Die prächtigen Bauten warfen lange Schatten in der Nachmittagssonne. Plötzlich hatte er das Gefühl, als ob auch über seinem ehemaligen Schüler, an dessen inbrünstigen Gesang in den hinteren Chorreihen er sich so gut erinnern konnte, ein dunkler Schatten läge.
3
»Empfang. Guten Tag!«
Junji Oba, Empfangsangestellter im Hotel Toyo, nahm den Anruf mit jener sanften Stimme entgegen, die er nur während der Arbeit verwendete. Er befeuchtete seine Unterlippe mit der Zungenspitze für den Fall, daß er es mit einem Ausländer zu tun hatte und Englisch sprechen mußte.
»J. C. Airlines«, ertönte eine Frauenstimme. »Könnten Sie mir bitte die Zimmernummer von Herrn Honda geben?«
»Honda? Ja, gewiß. Wie ist denn bitte sein Vorname?« »Ichiro. I-chi-ro .« Sie machte nach jeder Silbe des Namens eine Pause.
Junji Oba war neu im Toyo. Er arbeitete schon lange als Portier, aber nach einem verhängnisvollen Patzer an seinem letzten Arbeitsplatz hatte es ihn hierher verschlagen. Deshalb war er trotz aller Erfahrung gezwungen, sich wie ein Anfänger auf die Arbeit zu konzentrieren, um einen neuen Fehler zu vermeiden.
Er durchforstete sorgfältig das Gästebuch; seine Finger glitten an den fünfhundert Namen entlang, die Stockwerk für Stockwerk aufgeführt waren. Bald hatte er Hondas Namen gefunden — Eckzimmer, dritter Stock, Alter 29, Nationalität japanisch, Beruf Ingenieur.
»Herr Honda wohnt in Zimmer 305«, teilte er der Frau mit. Er wollte gerade einhängen, als die Stimme plötzlich eine Frage stellte, die so seltsam war, daß er die Anruferin bat, sie zu wiederholen.
»Ich fragte, hat er eine tiefe Stimme?«
»Eine tiefe Stimme, sagen Sie?«
»Ja ja, eine tiefe Stimme ... eine sanfte Stimme ... eine unvergeßliche Stimme.«
Der Rezeptionist überlegte blitzschnell. Was für eine merkwürdige Frage! Wenn jemand
Weitere Kostenlose Bücher