Schwestern der Nacht
'nem Alten wie mir.., uns wollen sie nicht mehr. Sagen, das Blut ist nicht mehr dick genug oder so.«
»Dann verkaufen Sie nicht mehr? Wann war denn das letzte Mal?«
»Ist schon über ein Jahr her. Der zuständige Mann wurde abgesägt, und der neue hat mich nicht mehr genommen.«
»Ja, würden Sie denn etwa nicht mehr verkaufen, wenn sich eine Gelegenheit bieten würde? Ich meine, wenn irgendwer kommen würde und was haben wollte, würden sie dann verkaufen?
»Klar würd' ich. Ich bin völlig gesund, und außerdem ist mein Blut selten. Wertvoll ist's. Nicht so'n Blut, wie's die meisten Leute haben, o nein. AB rh-negativ — das hat nur einer von zweitausend, wissen Sie. Und trotzdem kommt keiner, der's haben will.«
Seine Worte wurden langsam undeutlich. Shinji bestellte ihm noch ein Glas und stand auf.
»Den nächsten spendier' ich Ihnen ein andermal«, sagte er. Der Alte, den Mund randvoll mit Shochu, wäre fast erstickt, als er sich verabschiedete. Shinji verließ das >Renko< und machte sich auf den Weg zum Bahnhof von Shinjuku. Der alte Tagelöhner konnte sein Blut bestimmt nicht mehr an den Mann bringen. Wer würde es schon wollen, dünn und alkoholversetzt, wie es war? Jeder, der Blut brauchte, würde versuchen, es von jemand Jüngerem zu bekommen, jemand in Ichiro Hondas Alter. Den Tagelöhner und den Medizinstudenten konnte er abhaken. Er hielt es auch für reichlich unwahrscheinlich, daß >X< sich an den Assistenzarzt wenden würde, weil dessen Fachwissen viel zu groß war
Am Bahnhof angelangt, stieg er in die Chuo-Linie; er wollte nach Kanda. Nachdem sich der Zug in Bewegung gesetzt hatte, steckte er den Kopf aus dem Fenster, um sich vom Fahrtwind den Bierdunst aus dem Kopf blasen zu lassen. Doch als die Bahn schneller wurde, merkte er, daß der Sog jedes Nachdenken unmöglich machte. Der Wassergraben vor dem Kaiserpalast schoß wie ein glitzernder Blitz in der Sommernacht an ihm vorbei; er erhaschte einen flüchtigen Blick auf Liebespaare und andere Ausflügler in farbenfroh erleuchteten Booten, die sich auf dem Wasser wiegten. Noch nachdem er längst daran vorbei war, sah er im Geiste das weiße Hemd und die weiße Bluse eines Liebespaares vor sich.
Das Türkische Bad >Alibaba< lag etwa fünf Minuten vom Bahnhof Kanda entfernt. Shinji konnte das grellrote Neonschild sogar vom Fenster aus sehen, als der Zug in den Bahnhof einrollte. Dort hinzukommen, erwies sich jedoch als schwierig. Er mußte durch eine enge Gasse, in der sich Nachtklubs, schäbige Bars und schlechte Speiselokale aneinanderreihten. Als er an einem Etablissement vorbeikam, das Hähnchen vom Grill als Spezialität des Hauses anpries, mußte er durch dicken weißen Qualm waten, den die Absauganlage des Grills auf die Straße preßte. Er hatte das Gefühl, in der Falle zu sitzen. Statt brodelndem Öl begann er die Ausdünstungen von sexuellem Begehren und Unmoral zu riechen. Vor ihm lag eine Reihe kleiner Textilgeschäfte, die allesamt längst geschlossen und die Fensterläden dichtgemacht hatten, so daß das letzte Stück bis zum Türkischen Bad in komplette Finsternis getaucht war. Das >Alibaba< befand sich direkt neben der öffentlichen Badeanstalt; was für ein Kontrast, dachte Shinji. Denn obwohl er noch nie ein solches Etablissement betreten hatte, wußte er doch, daß hier unter einem äußerst fadenscheinigen Deckmantel Prostitution betrieben werde.
Der Eingang wurde von eingetopften Palmen und Gummibäumen flankiert. Dann stand er in einer fliesenbedeckten Halle, die durch eine mit rotbraunem und goldfarbenem Satin-Damast bezogene Wand vom Inneren abgetrennt war.
Die Beleuchtung war gedämpft und schwach rötlich. Der in prächtigen Farben gewebte Teppich war so dick, daß seine Füße darin versanken und keinen Laut verursachten. Ein Tisch mit einem Sofa sowie mehrere bequeme Lehnstühle waren auf einer Seite des Foyers aufgebaut, wo ein paar Männer darauf warteten, daß ihre Auserkorene frei wurde. Sie lasen entweder Zeitungen oder sahen lustlos fern; obwohl eine Reihe offener Bierflaschen auf dem Tisch stand, schien niemand der Sinn nach Trinken zu stehen.
Kaum hatte Shinji Platz genommen, eilte ein männlicher Bademeister auf ihn zu.
»Möchten Sie jemand bestimmten sehen?«
»Ja. Fräulein Yasue.« Sie war laut Detektivbericht Seiji Tanikawas Lieblingsmädchen. »Wenn ich mich nicht irre, hieß sie so. Sie haben hier doch jemand, der so heißt?«
»Sicher, mein Herr. Wenn Sie bitte ein paar Minuten warten
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