Schwestern Des Blutes
eine Art romantische Figur, einen Ritter in schimmernder Rüstung, einen Helden. Er war nichts von alledem.
Immer noch wartete sie geduldig, nur in ihre dünne Morgenrobe gehüllt, die nichts der Phantasie überließ. Andererseits müsste er seine Phantasie ohnedies nicht bemühen, um sich an jede ihrer weichen Rundungen, jede Vertiefung zu erinnern.
Er seufzte. »Wir waren beide Templer, deren Auftrag lautete, den Blutgral vor dem Silberhandorden zu beschützen. Ich hatte schon von dem Kelch getrunken und mich zum Vampir gewandelt, um unserer Sache besser dienen zu können. Stephen war unsicher, ob er sich bis in alle Ewigkeit dem Kampf gegen die Silberhand und ihr Machtstreben verpflichten wollte.« Er lächelte ein bisschen traurig. »Ich hingegen konnte es gar nicht erwarten, ewige Treue zu schwören.«
Und als Philips Soldaten den Kelch entwendet hatten, hatte er die sechs neuen Vampire ein Jahrhundert lang verfolgt, hatte auf eine Chance gewartet, den Gral zurückzuholen. Sie hatten zwar die Macht des Kelchs nicht missbraucht, sehr wohl aber ihre eigenen neuen Kräfte. Das änderte sich jedoch, als einer von ihnen Selbstmord beging, indem er in den Sonnenaufgang wanderte. Die verbliebenen fünf wandten sich der Kirche zu und erfuhren, dass der Blutgral wieder in Sicherheit war.
Violet beobachtete ihn, ihre Miene seltsam unlesbar, dabei war sie gewöhnlich ein offenes Buch für ihn. »Das kann ich mir vorstellen. Hast du Alyce geliebt?«
Ungeduldiges kleines Ding. Aber immerhin verhinderte sie, dass er zu viel grübelte. »Ja. Sie lebte in dem Ort, in dem Stephen und ich zu jener Zeit wohnten. Wir machten über ihren Bruder, einen jungen Mann, mit dem wir gelegentlich in der Schenke beisammen saßen, ihre Bekanntschaft.« Bei der Erinnerung an den jungen Mann verhärteten sich seine Züge. »Ich habe sie mit all der Narretei eines Jungen geliebt. Und Stephen ebenfalls, nur wusste ich das nicht.«
Sein Geständnis schien Violet nicht zu treffen, denn sie war viel zu klug, als dass sie auf eine Frau eifersüchtig gewesen wäre, die seit langem tot war. Vielleicht war sie doch kein so junges, unbedarftes Mädchen mehr, wie er gedacht hatte. »Wen von euch hat Alyce geliebt?«
Payen lachte kurz auf, ein bisschen stolz und zugleich ein bisschen verbittert. Seine Violet war nicht dumm. »Ich würde sagen, vor allem sich selbst, aber das wäre unfair. Ich schätze, dass sie von uns beiden Stephen lieber hatte, was jedoch nichts zur Sache tut, denn sie wollte nur eines von uns.«
»Lass mich raten.« Violet verschränkte die Arme unter ihren vollen Brüsten, so dass sie ihren Busen unwissentlich nach oben hob, als wolle sie ihn Payen darbieten. »Alyce gehörte der Silberhand an.«
Vielleicht hätte es ihn überraschen sollen, dass sie es erraten hatte; andererseits ähnelte seine Erzählung der Handlung eines Schauerromans oder einer Moralgeschichte wider die Sündhaftigkeit von Damen, wie sie dieser Tage so beliebt waren. »Nicht ganz. Ihr Bruder war Mitglied. Damals hatte der Orden noch nicht begriffen, wie nützlich ihm Frauen sein konnten. Das kam erst etwas später.« Und an jene Frauen wollte er jetzt gar nicht denken.
»Und wie hat sie dich verraten?«
War es so offenkundig? Entweder entging ihr die Bedeutung seiner Geschichte, oder er maß den Geschehnissen eine Tiefe bei, die sie gar nicht besaßen. »Überhaupt nicht. Das tat ich selbst, indem ich ihr die Wahrheit über mich enthüllte.«
Violet machte große Augen. War sie etwa verletzt? Sie musste doch erahnen, dass es andere vor ihr gegeben hatte. So viele.
Und keine war wie sie gewesen.
Violet umklammerte ihre Robe fester, so dass sie den Seidenstoff zerknüllte. »Sie hat dich an ihren Bruder verraten.«
Für einen Moment wollte Payen nichts lieber, als sie in seine Arme zu nehmen und sie wie von Sinnen zu küssen, weil sie mit solch einem Entsetzen und Ekel sprach. Es mochte daran liegen, dass sie keine eigene Familie mehr besaß und folglich auch die Loyalität nicht kannte, die Alyce angetrieben hatte. Es konnte aber auch sein, dass Violet niemals einen Mann verraten hätte, von dem sie behauptete, dass er ihr am Herzen lag.
Das wiederum bedeutete, dass Villiers ihr nicht am Herzen gelegen hatte – zumindest nicht sehr.
»Ja, sie gestand Stephen, was sie getan hatte, warum, weiß ich nicht. Der Idiot kam, um mich zu warnen, heldenhaft bis zum bitteren Ende.«
»Wurde er im Kampf getötet? Henry erzählte mir, dass er in der
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