Schwestern Des Blutes
Balkongeländer, schwang sich in die Lüfte und jagte ohne ein Ziel vor Augen so schnell wie möglich davon.
Und aus dem dunklen Garten unten schaute Rupert Villiers staunend zu.
6
P ayen kehrte in der Morgendämmerung zurück. Violet hörte ihn auf der Treppe – und wusste, dass er nur ihretwegen überhaupt ein Geräusch machte.
Als er ihre Tür erreichte, war er allerdings wieder mucksmäuschenstill. Violet fühlte seine Anwesenheit eher, als dass sie ihn hörte, doch sie wusste, dass er da war und sie beide nichts als die dünne Tür trennte, die nicht einmal verriegelt war. Was für einen Nutzen hätte ein Schloss auch schon gegen ein Wesen, das mit bloßen Händen Mauern durchschlagen konnte? Mehr noch: Warum sollte sie ihre Tür vor dem Mann verschließen, den sie liebte?
Das Einzige, was Payen davon abhielt, in ihr Zimmer zu kommen, war er selbst. Und dieses Wissen dämpfte ihre Freude über seine Rückkehr. Regungslos lauschend lag sie in ihrem Bett. Sie war nicht ganz sicher, wann er wegging, aber irgendwann merkte sie, dass er nicht mehr in der Nähe war. Vielleicht hatte sie sich alles nur eingebildet. Dennoch blieb Violet wach, bis das erste fahle Morgenlicht durch ihr Fenster kroch. Nun konnte sie beruhigt schlafen, denn bis zum Sonnenuntergang war Payen ihr Gefangener.
Wenige Stunden später wachte sie mit neuer Hoffnung auf. Zwar hatte sie noch keinen Plan, wie sie einen jahrhundertealten Sturkopf zur Räson bringen wollte, aber sie war kampfbereit.
Seine Loyalität – so überaltet sie auch sein mochte – war bewundernswert. Zweifellos würde er Violet dieselbe Treue und Verlässlichkeit beweisen, denn seine Gefühle für sie waren nicht das Problem. Das Problem war vielmehr in seinem Kopf: Er glaubte, dass er sie nicht lieben und bei ihr sein könnte, ohne seinen uralten Schwur zu brechen.
Wer ihn damals diesen Eid hatte schwören lassen, hatte doch gewiss nicht im Sinn gehabt, dass Payen kein Glück in seinem Leben erfahren durfte, oder doch? Jene Leute konnten unmöglich gemeint haben, dass er seine Auserwählte nicht zum Vampir wandeln durfte. Und falls doch, dann irrten sie.
Mit dieser festen Überzeugung stieg Violet aus dem Bett und läutete nach ihrer Zofe. Anschließend wusch sie sich, schlüpfte in ihre Unterkleider und stand still, während ihre Zofe sie in das Korsett einschnürte. Das feine Knochengerüst machte ihre Taille schmeichelhaft eng, hob aber gleichzeitig ihre Brüste viel zu weit nach oben. Doch daran ließ sich leider nichts ändern.
Payen schien ihre Brüste zu mögen. Vorletzte Nacht hatte er sie geradezu vergöttert, so wie er sich ihnen mit Mund und Händen gewidmet hatte. Ach, wie herrlich hatte sich seine Zunge auf den empfindlichen Spitzen angefühlt!
»Geht es Ihnen gut, Miss?«, fragte ihre Zofe. »Sie sehen ein wenig rot aus. Ist das Korsett zu stramm?«
Verlegen schüttelte Violet den Kopf. »Nein, alles bestens, Anna, danke.« Schluss mit den Gedanken an Payen und die Wonnen, die er ihr beschert hatte! Trotzdem überlief sie ein wohliger Schauer, als sie sich ausmalte, solche Freuden bis in alle Ewigkeit zu genießen.
Die Unsterblichkeit schreckte sie nicht, obgleich es sicher furchtbar einsam war, wenn man die Nächte allein verbringen musste. Sie erlaubte nicht, dass es Payen weiterhin so erging.
Anne unterbrach ihre Gedanken, als sie ihr ein rosa und cremeweiß gestreiftes Morgenkleid über den Kopf zog. Violet steckte die Arme in die schmalen Ärmel. Es war ein neues Kleid, sehr hübsch und feminin, stilvoll, aber ohne all die Rüschen und Raffungen, die aktuell so beliebt waren. Eine Frau von ihrer Statur brauchte keine bauschigen Polster an den Hüften und am Po – da war die Tournure schon schlimm genug. Violet musste zugeben, dass die Farben ihrem Teint schmeichelten und der hohe Ausschnitt ihren Busen gut kaschierte. An ihrer Größe und ihrer stattlichen Figur konnte sie nichts ändern, aber dieses Kleid, das zu ihrer Hochzeitsausstattung gehörte, gab ihr das Gefühl, hübsch und beinahe zart zu sein.
Vielleicht stand Payen ja rechtzeitig auf, um sie darin zu sehen.
Der einzige Vampir in einem Haus voller Menschen zu sein musste sich schrecklich anfühlen, nicht bloß wegen der offensichtlichen Versuchungen, sondern weil man sehr viel allein war. Wegen des tödlichen Sonnenlichts blieb einem die Gesellschaft tagsüber verwehrt, und in dieser ländlichen Gegend gingen die Leute abends zeitig ins Bett, so dass die einsamen
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