Schwestern Des Blutes
nächtlichen Stunden lang wurden.
Payen brauchte jemanden, der die Nacht mit ihm teilte; jemanden, der ihn akzeptierte, wie er war, und eine klare Vorstellung davon hatte, wie anders das Leben an seiner Seite war. Jemanden, der wusste, wie es war, allein zu sein.
Als ihre Eltern gestorben waren, war Violet alt genug gewesen, um sich heute lebhaft, voller Liebe und Kummer, an sie zu erinnern. Henry und Eliza waren sehr gut zu ihr, hatten jedoch niemals versucht, den Platz ihrer Eltern einzunehmen. Zumal sie zwei eigene Kinder hatten, die inzwischen verheiratet waren und den Earl und die Countess bald zu Großeltern machen würden.
Die Rexleys hatten ihr stets das Gefühl gegeben, herzlich willkommen zu sein, dennoch war Violet alt genug, das zu vermissen, was sie einst gehabt hatte. Und sie hatte sich nie des Gefühls erwehren können, nicht richtig dazuzugehören.
Bis Payen erschienen war. Zu ihm gehörte sie so sicher, wie der Mond zur Nacht gehörte. Sie musste ihn nur dazu bringen, es endlich einzugestehen. Nein, sie musste ihn dazu bringen, es zu akzeptieren!
Mit diesem Gedanken und voller Entschlossenheit begab sie sich nach unten, um sich dem helllichten Tag und dem Skandal ihrer geplatzten Vermählung zu stellen.
Die Gesellschaftsseiten der Zeitungen neigten eher zu Mitgefühl mit Rupert, obwohl die meisten Artikel von Frauen geschrieben waren. Keine von ihnen verstand, wie Violet einen solch reizenden Mann abweisen konnte.
Eine Schreiberin allerdings verkündete, dass sie ihren Gemahl auch jederzeit für einen Mann wie Payen verlassen würde.
»Wenn Payen mich nicht heiratet, kann ich mich nie wieder in London sehen lassen«, bemerkte Violet mit einem Anflug von Verbitterung, als sie ihre Kaffeetasse aufnahm.
Eliza beobachtete sie über ihren Tassenrand hinweg. »Möchtest du Payen denn heiraten?«
»Seit ich sechzehn bin, wünsche ich mir nichts anderes.« Sie nippte an ihrem heißen Kaffee. »Er liebt mich, Eliza. Er erlaubt sich nur nicht, glücklich zu sein.«
Ihre Freundin und Ziehmutter schien nicht überzeugt. Glaubte sie, dass Violet zu jung war, zu naiv? Zugegeben, sie mochte erst vierundzwanzig sein und nicht allzu viel von der Welt gesehen haben, aber sie kannte ihr Herz. Und sie kannte Payen. Sie wollte sogar wetten, dass sie den Vampir besser kannte als Henry, dem er schon seit dessen Kindertagen vertraut war.
Henry wusste im Gegensatz zu ihr nicht, wie Stephen Rexley wirklich gestorben war. Sich das wieder ins Bewusstsein zu rufen ließ Elizas zweifelnde Miene weniger schmerzen und gab Violet das nötige Selbstvertrauen, mit hocherhobenem Haupt am anderen Ende des Tisches zu sitzen.
Nach dem Frühstück kümmerte Violet sich um die übrigen Geschenke, die noch zurückgeschickt werden mussten. Etwa eine Stunde später kam Eliza und teilte ihr mit, dass Rupert sie zu sehen wünsche. Violet war, gelinde gesagt, überrascht.
»Möchtest du, dass ich mit ihm spreche?«, fragte Eliza und legte eine Hand auf Violets Arm.
Violet tätschelte ihre zarten Finger. Auch wenn Eliza nicht ihre richtige Mutter war, beschützte sie sie doch wie eine solche, was Violet sehr zu schätzen wusste. »Nein, ist schon gut. So viel schulde ich dem armen Mann.« Sie blickte sich zwischen den Geschenkebergen, die noch zurückgeschickt werden mussten, um. »Aber vielleicht lieber im Salon, wo wir nicht ganz so augenfällig an meinen Fauxpas erinnert werden.«
»Er wartet schon dort.« Eliza hielt ihren Arm fester. »Es wäre schlimmer gewesen, du hättest ihn geheiratet und dich selbst betrogen.«
Das wusste Violet ebenfalls, war aber froh, es auch von Eliza zu hören. Und es gab ihr Kraft, als sie wenige Augenblicke später in den Salon trat, wo ihr früherer Verlobter sie erwartete.
Sie straffte die Schultern. »Guten Morgen, Rupert.«
Er sah erstaunlich gut aus für einen Mann, der von seiner zukünftigen Braut verstoßen worden war. »Violet, du siehst bezaubernd aus.«
»Danke.« Sie sah ihn fragend an. »Welchem Umstand verdanke ich … diese Freude?« Eine erbärmliche Wortwahl, doch leider wollte ihr Verstand momentan nicht verlässlich arbeiten.
Rupert blickte an ihr vorbei zur geschlossenen Tür. »Ist Mr. Carr hier?«
»Er ist gerade indisponiert.« Und das war ein Glück, denn das Sonnenlicht, das in den Salon fiel, hätte ihn umgebracht. »Du brauchst dich nicht vor ihm zu fürchten, Rupert.« In dem Augenblick, in dem sie es aussprach, erkannte Violet, dass Rupert keineswegs ängstlich
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