Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
wie ich. »Das verstehe ich nicht. Ihr Liebling? Wer sind Sie?«
Als sie lächelte, bemerkte ich silberne Sprenkel in ihren Augen. War sie eine Fee? Doch dann blitzte eine Erinnerung in mir auf, und ich wusste, wer sie war. Die Legenden entsprachen der Wahrheit. Sie hatte sich also tatsächlich geweigert überzusiedeln, als die Anderwelt alle Verbindungen zur Erdwelt getrennt hatte.
»Ihr seid Titania, nicht wahr?«
Als sie sacht den Kopf neigte, drehte es mir den Magen um. Die einstige Feenkönigin Titania war gefährlich und unberechenbar. Sie war viel weniger menschlich als die Sidhe in meiner Welt, obwohl sie auf der Erde geblieben war.
Titania wandte den Blick nicht von meinem Gesicht. »Und nun sag mir bitte«, sprach sie, »was wollt ihr von meinem armen, gequälten, verrückten Märzhasen Tam Lin?«
Kapitel 15
Tam Lin? Tom Lane? Jetzt ergab alles einen Sinn. Aber Tam Lin, der legendäre Ritter, war schon vor Ewigkeiten in die Welt der Sterblichen zurückgeholt worden. Tom konnte nicht Tam Lin sein, von dem es hieß, er habe den Rest seines Lebens friedlich mit seiner Frau und seinen Kindern verbracht. Oder doch?
»Wie ist das möglich? Tam Lin ist vor Hunderten von Jahren gestorben.« Langsam ging ich in einem Bogen nach links, denn ich traute Titania nicht über den Weg. Gerüchteweise hieß es, sie sei übergeschnappt und besitze keinen Funken Vernunft mehr.
»Ach ja?« Titania sprach mit mir, doch ihr Blick hing nun an Morio, und ich spürte wachsende Gefahr.
Morio musste dasselbe gespürt haben, denn er schien plötzlich größer, imposanter zu werden. »Lasst uns mit Tom sprechen.«
Sie senkte den Kopf und lächelte. Glamour-Zauber, dachte ich. Sie wurde von Sekunde zu Sekunde verführerischer – ihr Gesicht wirkte weicher, ihre Augen strahlten heller. Ihre Brüste schienen ein wenig anzuschwellen, als hätte sie tief eingeatmet und die Luft angehalten. »Unser kleiner Hexling will mir ihren Namen nicht nennen, aber ich weiß, wer sie ist. Camille, nicht wahr?«
Ich blinzelte überrascht. So viel zum Thema Geheimhaltung. »Wie habt Ihr das herausgefunden?«
Titania ignorierte mich und konzentrierte sich völlig auf Morio. »Dich hingegen kenne ich nicht. Vielleicht wärst du so gütig, mir deinen Namen zu nennen?«
Ich warf ihm einen Blick zu. Titania klang, als sei sie nicht ganz richtig im Kopf. Vielleicht war sie trunken, oder die Magie in diesem Raum hatte ihre Sinne vernebelt. Vielleicht waren die vielen Jahre der Einsamkeit, abgeschnitten von der Anderwelt, auch einfach zu viel für sie gewesen. Es war aber auch möglich, dass Titania endgültig übergeschnappt war und den Verstand verloren hatte. Was auch immer zutreffen mochte, ich fühlte mich in ihrer Gegenwart nicht sicher.
Morio schien genauso zu denken, denn er blieb wachsam und trotzte ihrem Glamour. »Das ist ein Trick. Vermutlich ist er gar nicht Tam Lin.«
Titania schluckte den Köder. »Nennst du mich eine Lügnerin, Sterblicher?«
»Beweist mir, dass Ihr die Wahrheit sagt.« Da flog er, der Fehdehandschuh. Morio war ein gutaussehender Mann, und Titania mochte gutaussehende junge Männer.
Nach kurzem Zögern machte sie schmale Augen und sagte: »Du weißt, dass es keine Möglichkeit gibt, das zu beweisen. Außerdem habe ich das nicht nötig. Hier bin ich die Königin des Feenlandes, vergiss das ja nicht. Als die Elementarfürsten die Reiche spalteten, habe ich mich dafür entschieden, in dieser Welt zu bleiben, bei meinen Wurzeln.«
»Erzählt uns von Tom«, sagte ich leise. »Bitte.«
Sie seufzte, und ganz plötzlich, wie eine Ertrinkende, die nach einem Rettungsring greift, stützte sie sich auf eine der Kalksteinbänke, ließ sich darauf nieder und begann zu erzählen. Ich hatte den Eindruck, dass ihr nicht mehr viele Freunde oder Gefährten geblieben waren, denen sie ihr Herz ausschütten konnte.
»Ich wusste, dass Tam Lin nach ein paar Jahren mit Kindern, die rasch erwachsen wurden, und einem nörgelnden Weib zu mir zurückkehren würde. Und ich behielt recht. Eines Tages stand er vor dem Hügel und wartete auf mich. Ich nahm ihn wieder auf und behielt ihn ein paar Jahrhunderte hier, fütterte ihn mit meinem Feenbrot und ließ ihn vom Nektar des Lebens trinken. Im Lauf der Jahre verlor Tam Lin seine Sterblichkeit. Nun gehört er mir, ganz und gar und für immer.« Doch ihre Stimme klang ein wenig erstickt.
»Irgendetwas ist schiefgegangen, nicht wahr?«, fragte ich. »Was ist geschehen?«
Sie warf mir
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