Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
tatsächlich, ein schwacher Lichtschein drang durch einen Riss im soliden Fels. Wir eilten den Gang entlang, der plötzlich zu Ende war. Eine Sackgasse.
»Es muss eine verborgene Tür geben«, sagte er und strich mit den Händen an dem Spalt entlang. »Aber ich spüre keine Illusion. Jedenfalls keine, die ich erkennen könnte.«
Ich trat zurück und überlegte. Wenn es am Ende des Gangs keine Tür gab, waren wir dann vielleicht schon an einer vorbeigelaufen? Ich sah mich um und lauschte angestrengt. Zunächst hörte ich nichts als das leise Murmeln des Luftzugs in den Höhlen, doch dann erlauschte ich Atemzüge – langsam und rhythmisch.
Ich legte die Hände flach an den Fels, und tatsächlich, ein zarter Luftstrom strich über meine Hand. Der rauhe Granit fühlte sich kalt an, und ich suchte mit zusammengekniffenen Augen nach den Umrissen der Tür. Und da war sie – schwach, aber gerade noch sichtbar im trüben Lichtschein. Die Tür war etwa zwei Meter hoch und einen Meter breit. Die Frage lautete nun: Wie war sie zu öffnen?
Ich winkte Morio herbei. Während ich den Umriss abtastete, hielt er das Fuchsfeuer hoch, und wir untersuchten die Felswand auf Vertiefungen oder Riegel.
Dicht am Boden fanden wir ein Griffloch. Ich schluckte schwer und schob die Finger in die dunkle Öffnung. Sie trafen auf einen kalten Hebel und – verdammt! Ich riss die Hand zurück und hielt die Finger ins Licht. Rötliche Blasen bildeten sich an meinen Fingerspitzen. Eisenquaddeln. Die Verbrennung durch das Metall tat verflucht weh, aber ich schaffte es, nicht aufzuschreien. Morio bedeutete mir, zurückzutreten.
Er griff in das Loch. Ich hörte ein schwaches Klicken, und die Tür schwang zu uns heraus; der ganze Steinblock drehte sich an verborgenen Angeln. Wir sprangen zurück, und sobald die Öffnung groß genug war, schoben wir uns durch den Türspalt.
Ich schnappte nach Luft. Die Kammer, die wir betreten hatten, war riesig. Stalagmiten und Stalaktiten bildeten Wäldchen aus Säulen, doch der Großteil der Höhle war offen und schimmerte hell. Wasserfälle aus Kalkstein ergossen sich in erstarrter Pracht die Wände herab, und auf einer Seite befand sich ein von natürlichen Mauern umgebener Teich. Kalzitperlen schufen eine Art schimmernden, versteinerten Whirlpool am Rand des Mineralwasserbeckens. Ein schwaches Leuchten ging von den Wänden aus.
»Wir sind nicht mehr in Kansas, Toto«, murmelte ich und blickte zu der Tür zurück. Und tatsächlich, eine glitzernde Barriere bestätigte mir, dass wir ein anderes Reich betreten hatten. Dieser Teil der Höhle fand sich gewiss nicht auf irgendwelchen Landvermessungskarten. Wir waren durch ein natürliches Portal gegangen und... wo gelandet? Konnten wir in der Anderwelt sein? Oder war dies ein völlig anderer Ort?
»Wo sind wir?«, flüsterte ich. Selbst meine leise Stimme hallte wie flatternde Flügel durch die Kammer. Ich trat näher an Morio heran, der die alabasterne Schönheit der Wände bewunderte.
Sein Arm schlang sich schützend um meine Schultern, und ich spürte seine Lippen, die sich zärtlich an meinen Kopf drückten. »Ich weiß es nicht, Camille. Diese Art von Energie habe ich noch nie gespürt, und sie macht mich nervös. Bist du sicher, dass Tom hier ist?«
Ich nickte. »Ich fühle ihn. Aber wie hat er diesen Ort gefunden? Das Portal ist beim AND nicht registriert, das kann ich dir versichern.« Ich schmiegte mich an ihn und zitterte. Die Luft war nicht mehr feucht, aber das typische Kribbeln von Magie lief an meinen Armen auf und ab. Was auch immer diesen Ort erschaffen hatte – oder wer auch immer –, war wirklich sehr mächtig.
Und dann, ehe Morio etwas erwidern konnte, hörten wir ein Geräusch. Ich trat von ihm zurück und bereitete mich auf einen Angriff vor. Doch es war kein Dämon, der uns gegenübertrat. Eine Frau mit kurvenreicher Figur, über einen Meter achtzig groß und ehrfurchtgebietend schön, trat hinter einer der Kalksteinsäulen mitten in der Höhle hervor. Ihr über die Schulter drapiertes Kleid floss wie Spinnweben an ihr herab, und sie blieb in königlich-würdevoller Haltung vor uns stehen.
»Wer sind Sie?« Die Worte kullerten aus meinem Mund, ehe ich sie zurückhalten konnte. »Und wo ist Tom Lane?«
Sie blinzelte einmal, dann breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht. »Du meinst meinen kleinen Liebling? Meinen armen, süßen Jungen?«
Ich warf Morio einen Blick zu, doch der schüttelte den Kopf, offensichtlich ebenso verwirrt
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