Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
Menolly leistete uns nur Gesellschaft.
Das Haus stand zurückversetzt auf einem Grundstück von fünf Morgen, grenzte hinten an ein Wäldchen, durch das man zu einem großen Teich gelangte, und es war nicht billig gewesen. Zum Glück hatte Vater in weiser Voraussicht während seines Erdwelt-Einsatzes ein hübsches Sümmchen auf einem geheimen Konto bei einer Bank angelegt, die es geschafft hatte, die folgenden Jahrzehnte unbeschadet zu überstehen. Er hatte uns das Geld geschenkt, als man uns auf diesen Posten versetzt hatte, und im Lauf der Jahre hatte sich einiges an Zinsen angesammelt. Zusammen mit den Konten, die Mutter uns hinterlassen hatte, reichte es, um das Haus zu kaufen und einzurichten und uns ein recht einfaches, aber behagliches Leben zu finanzieren.
Der Tradition folgend, trugen wir den Nachnamen unserer Mutter, obwohl sie menschlich war, und bei unserer Geburt hatte Mutter darauf bestanden, uns behördlich anzumelden und uns Geburtsurkunden, Sozialversicherungsnummern und so weiter zu beschaffen. Vater hatte Mutter eigens erdseits gebracht, damit sie die Formulare ausfüllen konnten. Als wir also hierherkamen, um unseren Dienst anzutreten, konnten wir problemlos Bankkonten eröffnen und – mit viel Fingernägelkauen und Üben, Üben, Üben – den Führerschein machen.
Dank unserer weitsichtigen Eltern blieb uns eines der schlimmsten Schicksale erspart, das ein AND-Agent im Erdwelt-Einsatz erleiden kann – in einem AND-Apartment wohnen zu müssen, sprich: in einem billigen Zimmer in einem der von Kakerlaken wimmelnden Hotels, die von AND-Lakaien geleitet wurden. Dort durften nur Angehörige des AND wohnen; eine subtile Methode zu verhindern, dass Menschen zu viel mitbekamen, aber eine wenig subtile Erinnerung für die Agenten, dass sie weit weg von zu Hause waren und mit Haut und Haaren dem AND gehörten. Natürlich waren einige Agenten – Riesen wie Jocko und manche Goblins – mit dem Ambiente dort sehr zufrieden. Sie waren es gewohnt, in Hütten oder Höhlen zu wohnen, über die ein Stinktier die Nase gerümpft hätte. Aber für Feen wie uns war der Dreck geradezu entsetzlich.
Die weite Fahrt nach Seattle war ein Nachteil an unserem Wohnort Belles-Faire. Man brauchte eine halbe Stunde am Morgen, um in die Stadt zu pendeln, und eine weitere halbe Stunde abends, wenn der Verkehr nicht allzu schlimm war. Außerdem waren wir dort mehr als sieben Kilometer vom nächsten Portal entfernt, das im Wald verborgen lag, beschützt von einer der Ewigen Alten. Sich schnell in die Anderwelt abzusetzen, war also nicht unsere erste Option, falls es Ärger geben sollte. Aber dafür hatten wir unsere Privatsphäre, Ruhe und Gemütlichkeit und genug Platz, um die Kräuter anzubauen, die ich für meine Zauber brauchte. Delilah hielt die Mäusepopulation in Grenzen, obwohl sie sich ständig beschwerte, dass sie davon Verdauungsstörungen bekam.
Ein weiterer Vorteil daran, am Rand eines schmuddeligen Vororts zu wohnen, war der, dass Menolly hier leichter unbemerkt jagen konnte. Sie gab sich aufrichtig Mühe, nur den Bodensatz der menschlichen Gesellschaft auszusaugen – Diebe und Schlimmeres –, aber ich hatte den Verdacht, dass Chase schon ziemlich sauer wäre, wenn er wüsste, wie sie sich ihre Mahlzeiten beschaffte; wir hatten ihm erzählt, sie jage streunende Tiere. Was für uns der Wahrheit ziemlich nahe kam, wenn man bedachte, auf was für Abschaum sie es abgesehen hatte.
Ich war schon fast an der Haustür, als Delilah aus ihrem Pick-up hüpfte. Chase hielt hinter ihr. Ich drehte mich um und rief ihr zu: »Wie wäre es, wenn du Chase einen Drink machst, solange ich Menolly wecke?«
Chase sah aus, als wollte er protestieren, doch dann schüttelte er den Kopf und folgte Delilah ins Wohnzimmer. Sobald ich sicher war, dass er mich nicht sehen konnte, schlüpfte ich durch die Geheimtür in der Küche. Wir hatten den Zugang zum Keller gut versteckt, um Menolly zu schützen – im Schlaf konnte sie nicht viel tun, um sich zu verteidigen.
Meine Haut prickelte, als ich auf Zehenspitzen die Treppe hinunterging. Sich in den Unterschlupf eines Vampirs zu schleichen, war nie angenehm, nicht einmal dann, wenn der fragliche Vampir die eigene Schwester war.
Zumindest mied Menolly die üblichen Stereotypen: Die Wände ihres Kellers waren zart elfenbeinfarben gestrichen, und sie hatte sich für ihre Bettwäsche und die Sessel einen salbeigrünen Toile-de-Jouy ausgesucht. Diese Idee hatte sie aus einer alten Folge einer
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