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Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13

Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13

Titel: Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmine Galenorn
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dem Mörder sie berührt hat.« Ich hielt die Feder hoch. »Die hier habe ich neben ihr auf dem Boden gefunden und sie einfach aufgehoben – ich habe nicht darüber nachgedacht.«
    Die finstere Kapuze wandte sich mir zu, und ich glaubte, ein Paar stählerne Augen starr auf mich gerichtet zu sehen, glitzernd und kalt. »Harpyie« war alles, was sie sagte, doch das genügte uns als Bestätigung.
    Im Lauf der Jahre hatte ich schon mehrmals Leichenzungen bei der Arbeit gesehen, und ihre Hingabe und die Leidenschaft, mit der sie ihrer Tätigkeit nachgingen, waren mir unheimlich. Dennoch faszinierten sie mich, beinahe wider Willen. Delilah hingegen blieb lieber bei Chase stehen. Sie wirkte nervös; er sah aus, als würde er gleich schreiend davonlaufen. Glücklicherweise war er Profi genug, um zu wissen, wann er besser den Mund hielt.
    Die verhüllte Gestalt beugte sich über Rinas Leichnam und drückte langsam das Gesicht an Rinas blutige Züge. Die Leichenzunge presste die Lippen auf Rinas – und küsste sie innig. Dabei sog sie die Überreste der gefallenen Seele aus dem toten Körper in ihren eigenen. Ich wusste, wie das ging.
    Da kommt der tief verhüllte Graus.
    Lippen an Lippen, Mund an Mund.
    Saug ein den Geist, spei Worte aus
    Tu der Toten Geheimnisse kund.
    Der Reim hallte mir durch den Kopf; ein Vers, den Kinder sangen, um Schreckgespenster zu vertreiben. Aber Gespenster waren Spielzeug im Vergleich zu diesen Geschöpfen – was immer sie auch sein mochten –, und sie verlangten auch kein Fleisch als Bezahlung für ihre Dienste. Rinas Überreste würden bei ihren Vorfahren bestattet werden, bis auf das, was die Harpyie sich genommen hatte, und die Kleinigkeit, die der Leichenzunge gebührte.
    Wir warteten schweigend, und die Luft wurde immer dicker, während die Leichenzunge über dem toten Körper kauerte. Ich warf Chase einen Blick zu. Er sah aus, als könnte er jeden Moment in Ohnmacht fallen, und Delilah – die seinen seltsamen Gesichtsausdruck offenbar bemerkt hatte – griff stumm nach seiner Hand. Er warf ihr einen verblüfften Blick zu, nahm aber ihre Hand, und ihre Berührung verlieh ihm offensichtlich die Kraft, sich aufzurichten und die Schultern zu straffen, obwohl ich noch immer hören konnte, wie er verzweifelt etwas herunterschluckte, das vermutlich sein Frühstück war. Der Geruch seiner Angst vermischte sich mit dem des Blutes, und ich war froh, dass Menolly nicht hier war; sie war immer noch recht neu im Vampirgeschäft, und junge Vampire wurden von unersättlicher Gier überwältigt, wenn man sich in ihrer Gegenwart nur in den Finger piekste.
    Endlich erhob sich die Leichenzunge, ebenso lautlos wie vorhin. Ich trat vor. Es war an der Zeit, herauszufinden, ob wir einen Treffer gelandet hatten.
    »Rina, kannst du mich hören?«
    Mit einer Stimme, die wie Rina klang und doch wieder nicht, hauchte die Leichenzunge ein leises: »Ja.«
    Uns blieben nur wenige Minuten, bis auch der letzte Rest von Rinas Seele aus dieser Welt scheiden würde, gerade genug für ein paar schnelle Fragen, und danach – Pech gehabt. Manchmal konnten Leichenzungen den Seelenfaden nicht einmal ein paar Minuten lang festhalten.
    »Wer hat dich getötet?«
    Eine Pause, dann wieder dieses Flüstern. »Harpyie.«
    »Weißt du, warum?« Ich sah, wie die verhüllte Gestalt schwankte und darum kämpfte, Rinas Seele festzuhalten. »Nein.«
    Die Toten waren nicht immer gesprächig, was ja auch verständlich war. Jede Frage zählte. Ich dachte angestrengt nach. Uns blieb noch eine, vielleicht zwei Chancen. Was könnte ich sie noch fragen, das wertvoll für uns sein würde? Und dann fiel es mir ein. Weitere Fragen über Rinas Tod wären Zeitverschwendung gewesen, aber wir waren ja überhaupt erst hierhergekommen, um sie etwas zu fragen, und vielleicht konnte ich darüber mehr in Erfahrung bringen.
    »Wie finde ich Tom Lane?«
    Die Leichenzunge schauderte, als hätte sie diese Frage nicht erwartet, doch es gelang ihr, die Seele unter Kontrolle zu halten. Einen Augenblick später rezitierte sie:
    »Lang ist er um den Verstand gebracht.
Geh in die Wälder, doch nimm dich in Acht.
Such nach der Uralten Schutz vor dem Sturm,
doch erst musst du durch die Höhle des Wyrm.«
    Dann zuckte Rinas Körper heftig. »O Scheiße!«, platzte Chase heraus. »Was zum Teufel... ?«
    Delilah grub die Fingernägel in seinen Arm, als die Leichenzunge zurückgeschleudert wurde und sich schwer an einen der AND-Sanitäter lehnte.
    Ich ging zu Chase und

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