Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
Delilah hinüber. »Beruhige dich. Das bedeutet nur, dass die Verbindung getrennt wurde. Rinas Seele ist durch den Schleier gegangen.«
Chase starrte auf den schlaffen Körper hinab, und ich glaubte, in seinem Augenwinkel etwas glitzern zu sehen.
»Alles klar?«, fragte ich.
Er holte tief Luft und nickte. »Ja. Ich bin nur... Ich bin so daran gewöhnt, es mit Mordopfern zu tun zu haben, dass ich manchmal vergesse, dass sie Menschen waren. Ihre Stimme aus diesem... Ding... zu hören und... wie der Körper gezuckt hat... Ich habe mir noch nie Gedanken über das Leben nach dem Tod gemacht.«
Ich sah ihm an, dass er durcheinander war, möglicherweise sogar ein wenig verängstigt. Ich warf ihm ein schiefes Lächeln zu. »Nimm es nicht so schwer. Wir glauben, dass die Seele nach dem Tod einfach weiterzieht. Rina lebt noch, nur nicht mehr in diesem Körper. Sie weilt jetzt bei ihren Ahnen.«
Das Tatortteam machte sich Notizen und packte alles zusammen. Chase schaute zu der Leichenzunge hinüber und schauderte. »Wie viel bezahlen wir ihr?«
Oh, das konnte nett werden... »Du hast noch nie mit ihnen zu tun gehabt, oder?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, und ich habe auch keine Lust, dieses Erlebnis zu wiederholen, obwohl ich das Gefühl habe, dass das ein frommer Wunsch bleiben wird.«
Ich lehnte mich an eine der Vitrinen und starrte auf meine Stiefel. Sie sahen ziemlich zerschrammt aus, und ich überlegte, dass ich vielleicht neue kaufen sollte. Chase räusperte sich, und ich blinzelte und konzentrierte mich wieder auf die Gegenwart. Wie zum Teufel sollte ich seine Frage so beantworten, dass er nicht doch noch sein Frühstück von sich gab? Ich kam zu dem Schluss, dass direkt und unverblümt wohl am besten war, und zuckte mit den Schultern.
»Sie verlangt Rinas Herz. Die Mediziner werden es ihr geben. Leichenzungen nehmen immer einen Teil desjenigen in sich auf, für den sie sprechen. Stell es dir als eine Art... Kommunion vor.«
»O Gott! Aber ich musste ja unbedingt danach fragen, was?«
Als ich seine angewiderte Grimasse bemerkte, riss ich ihn herum, damit die Leichenzunge sein Gesicht nicht sehen konnte. »Lass das!«, zischte ich. »Ihre Arbeit ist heilig, und sie selbst wird im selben Maße verehrt wie gemieden. Leichenzungen sprechen nur mit ihresgleichen, außer in geschäftlichen Angelegenheiten. Wir sind nicht einmal sicher, was für eine Rasse sie sind oder was ihnen ihre Kräfte verleiht. Vielen ihrer Frauen ist die Fähigkeit angeboren, und bisher hat keine andere Art der Feen ein ähnliches Talent gezeigt. Mach dich nicht zum Narren, indem du über sie die Nase rümpfst. Sie ist eine Hüterin der Toten, der Ehre gebührt, nicht Verachtung.«
Er blinzelte. »Reiß mir nicht gleich den Kopf ab. Deine Schwester versteht wenigstens meine... «
»Angst?«
»Von wegen. Ich lasse mich nicht so leicht ins Bockshorn jagen.« Chase warf mir einen draufgängerischen Blick zu, doch ein gewisses Glitzern in seinen Augen sagte mir, dass er mit diesem Fall noch längst nicht abgeschlossen hatte.
»Schon klar, Johnson.« Mürrisch verschränkte ich die Arme und starrte aus dem Fenster. Delilah sprach mit den Sanitätern und sah zu, wie sie Rina für den Transport heim in die Anderwelt bereitmachten. Ich hatte die Schnauze voll von Chase und gesellte mich zu ihr. Als ich schließlich zu ihm zurückkehrte, funkelte er mich immer noch finster an.
»Also«, sagte ich in beiläufigem Tonfall, »wenn du so weit bist, sollten wir uns daranmachen, diese Harpyie aufzuspüren. Die ist für Menschen ebenso gefährlich wie für Feen.«
»Klar, von mir aus kann’s losgehen.«
Ich führte ihn ins Hinterzimmer und durchsuchte Rinas Schreibtisch nach irgendwelchen Hinweisen darauf, warum die Harpyie sie getötet hatte. Chase betrachtete die Gegenstände, die ich aus den Schubladen zog.
»Was genau ist eigentlich eine Harpyie? Sind das die aus der griechischen Mythologie?« Er holte ein Bündel kleine Papiertütchen hervor. »Die Sachen da sollten wir auf Fingerabdrücke untersuchen.«
»Äh, Chase – Harpyien hinterlassen keine Fingerabdrücke. Jedenfalls nicht in dem Sinne wie Menschen oder Feen.«
»Haben sie überhaupt Finger?«
»O ja, und wenn ich einen davon bekommen kann, bringe ich ihn Großmutter Kojote.« Ich brachte ihn zum Schweigen, ehe er ein Wort sagen konnte. »Frag nicht mal danach. Das erkläre ich dir später. Also, was Harpyien angeht – sie sind Dämonen. Mit Wörtern wie ›fies‹ oder
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