Schwestern des Mondes 04 - Hexenküsse-09.06.13
zartes Gesicht und ihr rabenschwarzes Haar. Und ich sah es. Ich sah, was sie uns zu sagen versuchte.
»Große Mutter ... Ihr ... Ihr ...«
»Ich gehöre zu deinen Ahnen, du dummes Kind. Du entstammst derselben Linie, die auch mich hervorgebracht hat. Wir gehören zu der Familie, die ursprünglich die Anbetung der Mondmutter ausprägte, lange vor der Spaltung. Ihr drei tragt dasselbe Blut in euch, das durch meine Adern fließt. Euer Vater ist in gewisser Weise mein Cousin. Ich mag nur zur Hälfte eine Fee sein, aber meine Arbeit mit dem Merlin hat meine Lebensspanne weit über das hinaus verlängert, was ein Sterblicher sich an Jahren erhoffen könnte. Ich werde ebenso lange leben wie eine reinblütige Fee. Euer Vater wurde erst nach der Trennung der Welten geboren, doch sein Großvater und mein Vater waren eng verwandt. Ich habe in der Vergangenheit geforscht, seit ich dich vor ein paar Monaten zum ersten Mal gesehen habe. Dein Blut hat meines angesprochen.«
Unvermittelt sank ich zu Boden. Ein Blick sagte mir, dass Delilah und Menolly sprachlos waren. »Wir sind verwandt?« Mein Urgroßvater war lange vor meiner Geburt ums Leben gekommen, im Kampf gegen irgendeine namenlose Bestie im Wald. Selbst mein Vater hatte ihn nicht mehr kennengelernt.
Die Spaltung war wie ein Pflug durch alles hindurchgefahren, hatte die Welten auseinandergerissen, Familien entwurzelt, Aufzeichnungen vernichtet, Clans und althergebrachte Gemeinschaften versprengt. Aber wir hatten stets daran geglaubt, dass dies eine notwendige Umwälzung gewesen sei, etwas, worauf sich alle Feen geeinigt hatten, um den Dämonen Einhalt zu gebieten. Jetzt senkte sich eine dunkle Wolke über jedes bisschen Geschichte, das man uns je gelehrt hatte.
»Du könntest mich ebenso gut Cousine nennen. Jetzt steh auf und überwinde deine Feigheit. Du weißt, was du tun musst - also tue es!« Mit schmalen Augen zerrte Morgana mich grob auf die Füße und schubste mich auf das Podest zu.
»Ihr habt eine lausige Art, Eure verwandtschaftliche Liebe zu bezeugen«, brummte ich, doch zumindest war es ihr gelungen, mich aus meiner Angst aufzurütteln. Auch wenn ich damit meinen Ruf in der Anderwelt auf ewig ruinierte, ich war sicher, dass ich dies tun musste. In dem neu erworbenen Wissen, dass die Spaltung den Feenhöfen aufgezwungen worden war, vertraute ich Großmutter Kojote im Augenblick wesentlich mehr als irgendjemandem zu Hause.
Die Kristalle, die aus der Decke und dem Boden ragten, begannen zu summen, als ich den Kelch von Morgana entgegennahm. Das Gebräu strudelte darin im Kreis herum, dunkel und kräftig und mit einem Duft, in dem ich mindestens ein Dutzend verschiedene Kräuter erkannte. Die Mischung blubberte sacht, und ich konnte mein eigenes Blut darin riechen, vermengt mit dem Lebenssaft aus Titanias und Morganas Adern. Ich warf Menolly einen raschen Blick zu, doch sie hielt sich sehr gut, obwohl sie das vergossene Blut riechen musste.
Ich holte tief Luft, hob den Kelch an die Lippen und hoffte, dass der Inhalt mich nicht umbringen würde. Ein Schluck, und der Geschmack von bittersüßem Met rann durch meine Kehle. Honig und gegorene Hefe und süßer Apfel. Blut und Beifuß und Cannabis. Und ... ein Hauch von Pilzen im Hintergrund.
Während mir die Flüssigkeit die Kehle hinabrann, begann ein eisiges Feuer in meinem Magen zu flackern, das rasch ausstrahlte - kleine Speere aus Schmerz und Genuss schössen durch meine Adern und leckten an meinen Zehen, bebten in meinem Herzen und verbreiteten sich durch meinen ganzen Körper wie ein Schmetterling, der zum ersten Mal die Flügel entfaltete.
Ich blickte auf und sah ein schimmerndes Netz zwischen Titania, Morgana und mir selbst. Es bestand aus Tausenden Tröpfchen Energie, und ich begriff, dass wir unsere eigene Version des Ionysischen Meeres geschaffen hatten, um die Schluchten zwischen unseren verschiedenen Kräften zu überbrücken. Ich konnte sie fühlen: Titania war erleichtert, endlich wieder sie selbst zu sein. Sie war wütend auf Morgana, würde aber im Interesse des großen Ganzen mit ihr zusammenarbeiten. Morgana war gierig, hungerte danach, ihre Macht zu mehren, doch ihre Absichten waren klar und deutlich, und ich fand keinerlei Sympathie mit den Dämonen in ihrer Seele.
Machtgierig mochte sie sein, aber sie würde uns nicht dem Feind ausliefern.
»Schau dir das an! Seht ihr das?« Chases Flüstern durchbrach die Stille, und wir alle drei drehten uns um und starrten ihn an - eine Warnung,
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