Schwestern des Mondes 08 - Katzenjagd-09.06.13
in den Tod reißen würde, wenn es sein musste. Ich konnte mich selbst verteidigen und brauchte niemanden, der meine Kämpfe für mich ausfocht. Diese Bilder verscheuchte ich ohne Ermunterung der Stimme aus meinem Herzen, indem ich ihnen befahl, daraus zu weichen.
Plötzlich war es still im Raum, das Scharren und Huschen war verstummt. Ein heller Strahl schimmerte in der Dunkelheit auf und erleuchtete die düsteren Winkel meines Herzens. Die tintenschwarze Leere verschwand.
Öffne die Augen. Du hast gelernt, heil durch die Angst hindurchzugehen. Du hast dein inneres Licht gefunden, Delilah, den Teil deiner selbst, der jede Finsternis durchdringen kann. Alle Todesmaiden müssen ihr Licht finden, denn sie arbeiten in der Dunkelheit, und die Energie muss im Gleichgewicht bleiben. Für dich ist es schwerer, weil du noch lebst, aber du hast es geschafft. Sei stolz auf dich und wisse, dass du dieses Licht nie wieder verlieren wirst.
Langsam öffnete ich die Augen. Der Raum war hell, und ich sah nichts als ein leeres Zimmer, von schimmerndem Licht erfüllt. Ich saß in der Mitte auf der Bank. Ich stieß den Atem aus, schaute an mir hinab und schnappte nach Luft. Die Tätowierungen an meinen Armen hatten sich verändert. Die schwarzen Schatten waren lebendiger, und in den Blättern schimmerte ein Hauch von Kupferrot und Rostbraun. Die Zeichen wurden kräftiger, und ich vermutete, dass meine Tätowierungen mit jeder weiteren Lektion dunkler werden würden. Ich war stolz darauf, dass ich die Prüfung bestanden hatte, und zufrieden mit mir, weil ich mich der Herausforderung gestellt und gesiegt hatte. Ich blickte wieder auf und entdeckte einen schemenhaften Schatten in der Ecke.
»Delilah?« Die Stimme hallte aus dieser Richtung.
Ich kenne dich. Du warst schon ein paarmal hei mir. »Du bist nicht Hi'ran, aber du trägst seine Energie in dir. Du hast mich jetzt schon mehrmals besucht. Ich will sehen, wer du bist.« Mein Puls begann zu rasen, das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich musste herausfinden, wer er war. Ich wollte ihn unbedingt kennenlernen. Er erschien mir so vertraut und doch ... so fremdartig.
Und dann trat er aus der schattigen Ecke hervor. Seine Lippen waren das Erste, was mir an ihm auffiel. Sie verzogen sich zu einem leichten Bogen, einem unglaublich feinsinnigen Lächeln. Ich sah ihm an, dass er kurz davor stand, in Lachen auszubrechen, und das machte dieses gelassene Lächeln umso spannender. Ich trat zurück, und wir sahen einander in die Augen.
Hi'ran?
Nein ... nicht Hi'ran. Aber der Herbst war da, in seiner Aura, in seiner Energie. Ich konnte ihn sehen, spüren, beinahe schmecken - kandierte Apfel und Schmorbraten und Kürbissuppe.
»Ich kenne dich ...«, flüsterte ich.
Der Mann war groß, aber nur zwei Finger breit größer als ich. Soweit ich sehen konnte, war er muskulös, mit schmaler Taille und breiten Schultern. Seine Züge und der warme, karamellbraune Teint deuteten auf eine halb japanische, halb afroamerikanische Abstammung hin, aber auch das war unmöglich zu sagen, denn ich wusste nicht einmal, ob er überhaupt menschlich war oder nicht. Ein VBM war er jedenfalls nicht, denn er strahlte Energie aus wie ein Leuchtturm.
Seine Augen schimmerten wie glänzender Obsidian oder feine Tinte. Sie glühten, und Sterne blinkten darin. Mehrere schroffe Narben an einer Wange und auf der Stirn entstellten ihn keineswegs, sondern trugen noch zu seinem guten Aussehen bei. Sein Haar schimmerte in hellen und dunkleren Strähnen von Honig, Bernstein und Weizen, und er trug es zum Pferdeschwanz zurückgebunden.
»Du bist so wunderschön«, flüsterte ich, ohne mich darum zu scheren, dass er mich hören konnte. Er war das prachtvollste Geschöpf, das ich je im Leben gesehen hatte, mitsamt seinen Narben und seltsamen Augen.
Da lachte er und schlüpfte aus seinem wadenlangen Ledermantel. Unter dem sattbraunen Leder trug er eine braune Cargo-Hose, einen schwarzen Rollkragenpulli, und um den Hals eine Kette mit einem Anhänger aus rauchig schimmerndem Bergkristall. Seine Füße steckten in Motorradstiefeln, aber da war noch etwas ... und dann bemerkte ich es.
Rauhreif fällt von den Fersen. Frost wie von Hi'rans Stiefeln. Und als der Mann zu mir aufschaute, erhaschte ich einen duftenden Hauch von Herbstfeuern, Holzrauch und dem ersten frischen, scharfen Frost im Herbst.
Automatisch, ohne darüber nachzudenken, trat ich vor ihn hin, und Hi'rans Worte hallten mir durch den Kopf: »Halte die Augen offen, meine
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