Schwesternkuss - Roman
Überschriften?«
»Alice schmeißt Job hin. Mary wird vielleicht Teilhaberin im September. Mein Vater trifft sich mit Fiorella in einem Restaurant.«
»Das ist unglaublich!« Judys Stimme klang jetzt fester, was Mary der heilenden Kraft des Tratschens zuschrieb.
»Welche Nachricht hältst du für unglaublich?«
»Die mit deinem Vater.«
»Ich verstehe.«
»Und dass du Teilhaberin wirst. Zeit für Rüschenhöschen.«
Mary lächelte. »Noch ist es nicht sicher.«
»Wird schon. Und Alice, das Luder, sorgt schon wieder für Schlagzeilen?«
»Sie hat die Rechtshilfe beklaut. Das Geld armer Leute.«
»Sie muss die Geschichte mit Robin Hood total missverstanden haben.«
»Sie wird dafür in der Hölle braten.«
»Die arme Bennie«, sagte Judy mit Bedauern. Genau diese Reaktion hatte Mary von ihr erwartet.
»Bennie ist nicht so schlecht«, sagte Mary. »Wir gehen zu hart mit ihr ins Gericht.«
»Das machen wir doch immer.«
»Stell dir vor: Heute hat sie tatsächlich gesagt, dass sie mich schätzt.«
»Da musst du dich verhört haben.«
»Nein. Außerdem hat sie mir ihr Herz ausgeschüttet.«
»Nein!«
»Doch!«
»Was hat sie gesagt?«
Mary lächelte. »Es war vertraulich. Also muss ich schweigen. Nur so viel, es ging um Zwillinge.«
»Glückwunsch für deinen beruflichen Aufstieg. Ich wusste es.«
Mary spürte ein Stechen in der Brust. Hätte es Judy nicht eher verdient, wo sie doch die Tüchtigere war? »Ich verdanke es dir, Jude.«
»Ich habe dir nur Mut zugesprochen.«
»Nein. Du hast mir keine andere Wahl gelassen.«
»Wie auch immer. Ich freue mich. Du hast es verdient.«
Mary war froh, Judy als Freundin und Bennie als Chefin zu haben. »Du bist die Beste. Weißt du das?«
»Jetzt aber nicht sentimental werden. Ich gehe wieder ins Bett. Und pass auf deinen Dad auf. Er könnte von Fiorella verhext werden.«
»Rede keinen Unsinn. Und gute Besserung.« Mary legte auf. Das warme Handy in ihrer Hand wollte sie aber noch nicht beiseitelegen.
Sie fragte sich, wieso Judy immer ihre Gedanken erriet. Lange bevor sie sich selbst Gedanken gemacht hat.
23
Bennie prügelte auf den Riss ein in der Hoffnung, er würde größer werden. Das Tier auf der anderen Seite knurrte und kratzte. Es wollte hinein. Sie stellte sich vor, wie das Tier ihr in den Nacken biss. Doch dann hatte sie einen Gedankenblitz.
Das Tier war gar nicht ihr Feind, es war ihr Freund. Denn wie sie von ihrer Seite aus versuchte herauszukommen, so versuchte das Tier von der anderen Seite aus hineinzukommen. Jetzt begann auch Bennie zu kratzen. Sie wollte das Tier animieren. Bald kratzten beide um die Wette.
Bennie knurrte jetzt auch. Immer lauter. Und kratzte wild geworden auf dem Holz wie das Tier. Sie war selbst wieder zum Tier geworden. Das war ihre letzte Chance. Die Luft wurde weniger.
Also weiter kratzen, angefeuert von dem Kratzen auf der anderen Seite.
Weiter kratzen, bis sie tot war.
Oder das Tier sie verschlang.
24
Der Rexco-Fall schien nicht kompliziert zu sein. Zu diesem Schluss kam Alice nach dem Studium der Klageschrift. Drei Mitarbeiter der Firma, die Schraubverschlüsse herstellte, waren zu einem Konkurrenzunternehmen gegangen und hatten dabei Betriebsgeheimnisse mitgehen lassen. Das verstieß gegen das Recht von Pennsylvania. Eine andere Anwaltskanzlei hatte die Klage entworfen. Nicht besonders gut, enthielt sie doch eine Menge Tipp- und formaler Fehler.
Im Korrespondenzordner fand sie einen Brief Bennies, in dem sie einer Neufassung der Klage durch ihre Kanzlei zustimmte. Außerdem enthielt das Schreiben einen Überblick über das aktuelle Betriebsgeheimnisrecht und unfaire rechtliche Wettbewerbsbedingungen im Commonwealth. Für Alice der ideale Leitfaden für das Treffen am Montag.
Mit ein paar Fallbeispielen und juristischen Phrasen würde sie auf der Gewinnerseite sein. Also loggte sie sich im Internet in eine Rechtsdatenbank ein und studierte ein paar Fälle, die sie beim Treffen nachplappern konnte. Danach legte sie den Rexco-Ordner beiseite und kümmerte sich wieder um ihre eigenen Sachen. Es gab am Montagabend keinen Direktflug nach Nassau, also buchte sie einen Flug nach Miami mit Anschlussflug auf die Bahamas. Sie bezahlte mit Bennies American-Express-Karte.
»Bennie?«
Alice erschrak und klickte die Reise-Website weg. »Du bist es, Mary.«
»Ich wollte nicht stören. Aber du warst so sehr in die Arbeit vertieft, dass du mein Klopfen nicht gehört hast. Ich bin für heute fertig und gehe jetzt
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