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Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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und sie nahm sich Zeit, um ihre Straßenkleidung abzulegen, Bluse und Hose sorgfältig zusammenzufalten und alles ordentlich im Schließfach zu stapeln. Der Stoff des OP-Anzugs war kühl und glatt auf ihrer bloßen Haut, wie frisch gewaschene Laken, und sie empfand es als tröstlich und beruhigend, all die vertrauten Handgriffe zu vollführen, vom Verknoten der Kordel an der Hose bis zum Aufsetzen der Haube und dem Einstecken der Haare. In ihrer Uniform aus frisch gestärkter Baumwolle fühlte sie sich sicher und geschützt, wie auch in der Rolle, in die sie schlüpfte, wenn sie ihre Arbeitskleidung anlegte. Sie warf einen Blick in den Spiegel, und das Gesicht, das sie dort sah, war kühl und reserviert wie das einer Fremden, alle Emotionen sorgfältig unter Verschluss gehalten. Dann verließ sie die Umkleide, ging den Flur hinunter und stieß die Tür zum Autopsiesaal auf.
    Rizzoli und Frost standen schon am Tisch, beide in Kittel, Überhose und Handschuhen, und versperrten Maura mit ihren Rücken die Sicht auf das Opfer. Dr. Bristol sah Maura als Erster. Er stand mit dem Gesicht zur Tür, angetan mit einem XXL-Kittel, den er mit seinem Leibesumfang ganz ausfüllte, und fing ihren Blick auf, als sie den Saal betrat. Sie registrierte, wie sich seine Augenbrauen über der Schutzmaske zusammenzogen, und las die unausgesprochene Frage in seinen Augen.
    »Ich dachte, ich schaue mal vorbei«, sagte sie.
    Jetzt drehte Rizzoli sich zu ihr um. Auch sie runzelte die Stirn. »Sind Sie sicher, dass Sie dabei sein wollen?«

    »Wären Sie denn nicht neugierig?«
    »Schon, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich dabei zusehen wollte. Unter diesen Umständen.«
    »Ich werde mich auf die Rolle der Beobachterin beschränken. Falls du nichts dagegen hast, Abe.«
    Bristol zuckte mit den Achseln. »Na ja, ich wäre selbst wahrscheinlich auch verdammt neugierig, denke ich. Also bitte, tu dir keinen Zwang an.«
    Sie ging um den Tisch herum zu Abe und konnte nun erstmals einen ungehinderten Blick auf die Leiche werfen. Ihre Kehle war plötzlich wie ausgedörrt. Sie war in diesem Saal schon so manchem entsetzlichen Anblick ausgesetzt gewesen, hatte Fleisch in allen Stadien der Verwesung gesehen, Leichen, die durch Feuer oder andere Gewalteinwirkung so entstellt waren, dass sie kaum noch als menschliche Überreste zu erkennen waren. Die Frau, die jetzt auf dem Tisch lag, war im Vergleich zu vielem, was sie schon erlebt hatte, erstaunlich unversehrt. Das Blut war bereits abgewaschen worden, und die Einschusswunde auf der linken Schädelseite war durch die dunklen Haare verdeckt. Das Gesicht war unverletzt, der Rumpf nur durch die fleckige Verfärbung der tiefer liegenden Partien verunstaltet. In Hals und Leistenbeuge waren frische Einstiche zu erkennen, wo der Obduktionsassistent Yoshima Blut für Labortests entnommen hatte, abgesehen davon waren keine Verletzungen zu erkennen. Abe hatte den ersten Schnitt mit dem Skalpell noch nicht vollführt. Wäre der Brustraum bereits eröffnet gewesen, die Innereien freigelegt, dann wäre es für Maura ein weitaus weniger verstörender Anblick gewesen. Geöffnete Leichen haben etwas Anonymes. Herz, Lunge und Leber sind einfach nur Organe; so wenig individuell, dass man sie von einem Körper in den anderen transplantieren kann, wie Ersatzteile eines Autos. Aber diese Frau war noch unversehrt, und ihre Züge schienen erschreckend vertraut. Letzte Nacht hatte Maura die Tote vollständig bekleidet und im Dunkeln gesehen, angestrahlt nur von Rizzolis Maglite. Jetzt war das
Gesicht von den grellen OP-Lampen gnadenlos ausgeleuchtet, keine Kleider verhüllten den Körper, und jedes Detail der Leiche kam Maura mehr als nur bekannt vor.
    Mein Gott – das ist mein eigenes Gesicht; das ist mein eigener Körper, der da auf dem Tisch liegt.
    Nur sie selbst wusste, wie groß die Ähnlichkeit tatsächlich war. Keiner der übrigen Anwesenden hatte je ihre nackten Brüste zu Gesicht bekommen, die Konturen ihrer Schenkel. Sie kannten nur, was sie ihnen zu sehen gestattete – ihr Gesicht, ihre Haare. Sie konnten unmöglich wissen, dass die Ähnlichkeit zwischen ihr und dieser Leiche sich bis in intime Details wie die rötlich-braunen Einsprengsel in ihrem Schamhaar erstreckte.
    Maura betrachtete die Hände der Frau. Die Finger waren lang und schmal wie die ihren. Klavierspielerhände. Die Tinte an den Fingerkuppen zeigte an, dass bereits Fingerabdrücke von der Leiche genommen worden waren. Auch die Röntgenaufnahmen von

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