Schwesternmord
Schneidbrett schlitzte er den Magen auf und schüttete den Inhalt in eine kleinere Schüssel. Rizzoli und Frost wandten sich mit angewiderter Miene ab, als ihnen der Geruch unverdauten Essens entgegenschlug.
»Sieht nach den Resten eines Abendessens aus«, sagte Abe. »Ich würde auf einen Meeresfrüchtesalat tippen. Ich erkenne grünen Salat und Tomaten. Vielleicht Shrimps …«
»Wie kurz vor dem Tod hat sie die letzte Mahlzeit eingenommen?«, fragte Rizzoli. Ihre Stimme klang merkwürdig näselnd; sie hatte die Hand vors Gesicht geschlagen, um sich vor dem Gestank zu schützen.
»Eine Stunde, vielleicht auch länger. Ich vermute, dass sie in einem Restaurant gegessen hat; Meeresfrüchtesalat gehört nicht zu den Gerichten, die ich mir zu Hause machen würde.« Abe wandte sich an Rizzoli. »Haben Sie irgendwelche Restaurantquittungen in ihrer Tasche gefunden?«
»Nein. Vielleicht hat sie ja bar bezahlt. Wir warten immer noch auf die Kreditkarten-Informationen.«
»Mann«, stöhnte Frost, immer noch mit abgewandtem Gesicht. »Ich war ja nie ein großer Fan von Shrimps – aber jetzt ist mir der Appetit endgültig vergangen.«
»Das sollte Sie aber wirklich nicht stören«, meinte Abe, der nunmehr die Bauchspeicheldrüse aufschnitt. »Genau betrachtet bestehen wir doch alle aus den gleichen Grundbausteinen. Fett, Kohlehydrate und Eiweiß. Wenn Sie sich ein leckeres Steak zu Gemüte führen, essen Sie Muskelgewebe. Glauben Sie, ich würde je auf die Idee kommen, auf Steaks zu verzichten, bloß weil es das gleiche Gewebe ist, das ich jeden Tag seziere? Alle Muskeln bestehen aus den gleichen biochemischen Bestandteilen, nur riecht es halt nicht immer gleich gut.« Er griff nach den Nieren, sezierte sie fein säuberlich und ließ kleine Gewebeproben in ein
Glas mit Formalin fallen. »Bis jetzt sieht alles ganz normal aus«, sagte er. Er sah Maura an. »Stimmst du mir da zu?«
Sie nickte mechanisch, sagte aber nichts, abgelenkt durch den neuen Satz Röntgenaufnahmen, den Yoshima nun an den Leuchtkasten hängte. Es waren Schädelaufnahmen. In der Seitenansicht waren die Umrisse des weichen Gewebes zu erkennen, wie das schemenhafte Geisterbild eines Gesichts im Profil.
Maura trat vor den Leuchtkasten und starrte auf die sternförmige Verdichtung, die sich verblüffend hell von den weicheren Schatten des Knochens abhob. Die Kugel war in der Schädeldecke stecken geblieben. Die trügerisch kleine Eintrittsöffnung der Kugel in den Schädel ließ das Ausmaß der Verwüstungen, die dieses verheerende Geschoss im Gehirn des Opfers angerichtet hatte, kaum erahnen.
»Mein Gott«, murmelte sie. »Es ist ein Black-Talon-Geschoss.«
Abe blickte von der Schüssel mit den Organen auf. »So ein Ding habe ich schon länger nicht mehr zu Gesicht bekommen. Da werden wir höllisch aufpassen müssen. Die Metallspitzen der Kugel sind rasiermesserscharf. Die schneiden einem glatt durch den Handschuh.« Er wandte sich an Yoshima, der schon länger in der Rechtsmedizin arbeitete als jeder der zurzeit dort beschäftigten Pathologen und deshalb so etwas wie das wandelnde Gedächtnis des Instituts war. »Wann hatten wir das letzte Mal ein Opfer mit einem Black-Talon-Geschoss auf dem Tisch?«
»Ich würde sagen, das ist ungefähr zwei Jahre her.«
»Nicht länger?«
»Ich weiß noch, dass Dr. Tierney den Fall hatte.«
»Können Sie Stella bitten, einmal nachzusehen? Wäre gut zu wissen, ob der Fall damals abgeschlossen wurde. Das ist ein so ungewöhnliches Geschoss, dass man sich fragt, ob es da nicht eine Verbindung gibt.«
Yoshima streifte seine Handschuhe ab und ging zur Gegensprechanlage, um Abes Sekretärin anzurufen. »Hallo,
Stella? Dr. Bristol möchte, dass Sie ihm den letzten Fall mit einem Black-Talon-Geschoss heraussuchen. Die Autopsie hat wohl Dr. Tierney gemacht …«
»Ich hab von den Dingern gehört«, sagte Frost, der zum Leuchtkasten gegangen war, um sich die Röntgenaufnahmen aus der Nähe anzusehen. »Aber das hier ist das erste Mal, dass ich es mit einem Black-Talon-Opfer zu tun habe.«
»Es handelt sich um ein Hohlmantelgeschoss, hergestellt von der Firma Winchester«, erklärte Abe. »Ist so konstruiert, dass es sich nach dem Aufprall ausdehnt und das weiche Gewebe zerreißt. Wenn es in den Körper eindringt, fächert sich der Kupfermantel zu einem sechszackigen Stern auf. Jede einzelne Spitze ist so scharf wie eine Kralle.« Er ging zum Kopfende des Tisches. »Sie wurden 1993 vom Markt genommen, nachdem ein
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