Schwesternmord
anderen ebenso gegangen sein«, sagte Rizzoli. »Auch der
Person, die ihr diese Kugel in den Kopf gejagt hat. Es war kurz vor zwanzig Uhr, als Ihr Nachbar die vermeintliche Fehlzündung hörte. Um die Zeit wurde es schon dunkel. Und da war sie; sie saß in einem geparkten Wagen, ein paar Meter von Ihrer Einfahrt entfernt. Jeder, der die Frau in diesem Wagen sah, musste annehmen, dass Sie es waren.«
»Sie glauben, dass der Anschlag mir galt«, sagte Maura.
»Das ist doch einleuchtend, oder?«
Maura schüttelte den Kopf. »Für mich ergibt das alles keinen Sinn.«
»Sie sind durch Ihren Job sehr exponiert. Sie sagen bei Mordprozessen aus. Sie stehen in der Zeitung. Sie sind unsere Königin der Toten.«
»Nennen Sie mich nicht so.«
»Alle Cops nennen Sie so. Auch die Presse. Das wissen Sie doch, oder nicht?«
»Das heißt noch lange nicht, dass mir dieser Spitzname gefällt. Ehrlich gesagt, ich kann ihn überhaupt nicht leiden.«
»Aber es ist unbestreitbar so, dass Sie auffallen. Nicht nur wegen Ihrer Tätigkeit, sondern auch wegen Ihres Aussehens. Sie wissen doch, dass die Männer sich nach Ihnen umdrehen, nicht wahr? Sie müssten ja blind sein, um das nicht zu bemerken. Eine so gut aussehende Frau kann sich der Aufmerksamkeit der Herren der Schöpfung immer gewiss sein. Hab ich Recht, Frost?«
Frost zuckte zusammen; offensichtlich hatte sie ihn mit ihrer Frage überrumpelt. Das Blut schoss ihm in die Wangen. Der arme Frost, bei jeder Gelegenheit lief er rot an. »Na ja, ist doch nur menschlich, oder?«, gab er zu.
Maura sah Pater Brophy an, der ihren Blick jedoch nicht erwiderte. Sie fragte sich, ob er den gleichen Anziehungskräften unterworfen war wie sie und alle anderen. Sie wollte, dass es so war; sie wollte glauben, dass Daniel nicht immun war gegen die Art von Gedanken, die ihr im Kopf herumgingen.
»Eine hübsche Frau, die im Licht der Öffentlichkeit steht«, sagte Rizzoli. »Ein Stalker heftet sich an ihre Fersen, sie wird vor ihrem eigenen Haus überfallen. Das passiert nicht zum ersten Mal. Wie hieß noch mal diese Schauspielerin drüben in L.A.? Die damals ermordet wurde?«
»Rebecca Schaefer«, sagte Frost.
»Genau. Und dann der Fall Lori Hwang hier bei uns. Sie erinnern sich doch, Doc.«
Ja, Maura erinnerte sich daran, denn sie selbst hatte die Leiche der Nachrichtenmoderatorin von Channel Six obduziert. Lori Hwang hatte die Sendung erst ein Jahr lang gemacht, als sie vor dem Fernsehstudio erschossen wurde. Sie hatte nicht gewusst, dass ein Stalker es auf sie abgesehen hatte. Der Täter hatte sie im Fernsehen gesehen und ihr ein paar Fanbriefe geschrieben. Und dann hatte er ihr eines Tages vor dem Studioeingang aufgelauert. Als Lori aus dem Gebäude gekommen und auf ihren Wagen zugegangen war, hatte er ihr eine Kugel in den Kopf geschossen.
»Das ist das Risiko, mit dem alle Prominenten leben müssen«, sagte Rizzoli. »Sie können nie wissen, wer Sie auf all den Fernsehbildschirmen sieht. Sie können nie wissen, wer in dem Wagen direkt hinter Ihnen sitzt, wenn Sie von der Arbeit nach Hause fahren. Wir kommen gar nicht auf die Idee, dass jemand uns verfolgen könnte. Dass jemand Fantasien über uns hat.« Rizzoli hielt inne. Und fuhr leise fort: »Ich habe es erlebt. Ich weiß, wie es ist, im Zentrum der Obsessionen eines kranken Gehirns zu stehen. Dabei bin ich ja nun nicht gerade attraktiv – aber trotzdem ist es mir passiert.« Sie hielt die Hände hoch und ließ sie die Narben auf ihren Handflächen sehen. Die unauslöschlichen Andenken an ihren Kampf mit dem Mann, der sie zweimal um ein Haar getötet hätte. Ein Mann, der immer noch am Leben war, wenn auch gefangen in einem querschnittgelähmten Körper.
»Deswegen habe ich Sie gefragt, ob Sie irgendwelche merkwürdigen Briefe erhalten hätten«, sagte Rizzoli. »Ich dachte dabei an Lori Hwang.«
»Ihr Mörder wurde gefasst«, sagte Pater Brophy.
»Ja.«
»Sie unterstellen also nicht, dass es sich um denselben Mann handelt.«
»Nein. Ich will nur auf die Parallelen hinweisen. Eine einzelne Schusswunde im Kopf. Frauen in öffentlichen Positionen. Da macht man sich so seine Gedanken.« Rizzoli hievte sich mühsam aus dem Sessel. Frost eilte sogleich herbei, um ihr seine Hilfe anzubieten, doch sie ignorierte seine ausgestreckte Hand. Auch im achten Monat dachte Rizzoli noch längst nicht daran, sich helfen zu lassen. Sie hängte sich die Handtasche über die Schulter und sah Maura prüfend an. »Möchten Sie heute Nacht
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