Schwesternmord
antwortete nicht gleich, und sein Zögern trieb ihr die Schamröte ins Gesicht. Was für eine dumme Frage. Sie hätte sie am liebsten zurückgenommen, hätte am liebsten die Zeit um sechzig Sekunden zurückgespult. Wie viel besser wäre es doch gewesen, einfach auf Wiedersehen zu sagen und ihrer Wege zu gehen. Stattdessen war sie mit dieser unüberlegten Einladung herausgeplatzt, von der sie beide wussten, dass er sie nicht annehmen sollte.
»Es tut mir Leid«, murmelte sie. »Das ist wohl keine sehr gute …«
»Doch«, sagte er. »Ich hätte große Lust dazu.«
Sie stand in ihrer Küche und schnitt Tomaten für den Salat, und die Hand, mit der sie das Messer führte, zitterte. Auf dem Herd stand ein Topf mit Coq au Vin auf kleiner Flamme, und der Duft von in Rotwein eingelegtem Hühnerfleisch erfüllte den Raum. Ein einfaches, vertrautes Gericht, das sie ohne Rezept und ohne viel Nachdenken kochen konnte. Etwas Komplizierteres hätte sie an diesem Abend überfordert. Denn in Gedanken war sie nur bei dem Mann, der in diesem Augenblick zwei Gläser mit Pinot Noir füllte.
Er stellte ihr ein Glas auf die Anrichte. »Was kann ich sonst noch tun?«
»Gar nichts.«
»Die Salatsoße machen? Den Kopfsalat waschen?«
»Ich habe Sie nicht in meine Wohnung eingeladen, um Sie für mich schuften zu lassen. Ich dachte nur, es wäre Ihnen vielleicht lieber als in einem Restaurant, wo man doch nie ganz unter sich ist.«
»Sie sind es wohl leid, immer im Licht der Öffentlichkeit zu stehen«, sagte er.
»Ich dachte dabei eher an Sie.«
»Auch Priester essen ab und zu im Restaurant, Maura.«
»Nein, ich meinte …« Sie spürte, wie sie rot wurde, und attackierte aufs Neue die Tomate.
»Ich nehme an, die Leute würden sich schon so ihre Gedanken machen«, meinte er. »Wenn sie uns zusammen in einem Lokal sehen würden.« Er sah ihr eine Weile schweigend zu; das einzige Geräusch war das Klopfen ihrer Messerklinge auf dem Schneidbrett. Was macht man mit einem Priester in der Küche?, fragte sie sich. Bittet man ihn, das Essen zu segnen? Kein anderer Mann machte sie so nervös, keiner gab ihr so sehr das Gefühl, einfach nur ein Mensch mit allen Fehlern zu sein. Und was sind deine Fehler, Daniel?, fragte sie sich, als sie die gewürfelten Tomaten in die Schüssel kippte, Olivenöl und Balsamico dazugab und alles untermischte. Macht dich dieser weiße Kragen immun gegen alle Versuchungen?
»Lassen Sie mich wenigstens die Gurke schneiden«, sagte er.
»Sie können sich nicht einfach nur entspannen, wie?«
»Ich kann nun einmal schlecht untätig herumsitzen, während andere arbeiten.«
Sie lachte. »Willkommen im Club.«
»Ist das etwa der Club hoffnungsloser Workaholics? Da bin ich nämlich Gründungsmitglied.« Er zog ein Messer aus dem hölzernen Block und begann die Gurke in Scheiben zu schneiden. Ein frischer, sommerlicher Duft breitete sich aus. »Das bleibt nicht aus, wenn man fünf Brüder und eine Schwester hat und immer aushelfen muss.«
»Sie waren tatsächlich zu siebt zu Hause? Ach du lieber Gott.«
»Das hat mein Vater sicher auch jedes Mal gesagt, wenn er hörte, dass schon wieder eins unterwegs ist.«
»Und welcher von den sieben waren Sie?«
»Nummer vier. Genau in der Mitte. Was mich nach Auskunft der Psychologen zum geborenen Vermittler macht. Derjenige, der immer bemüht ist, Frieden zu stiften.« Er blickte zu ihr auf und lächelte. »Und es bedeutet auch, dass ich gelernt habe, in Rekordzeit zu duschen.«
»Und wie ist aus dem mittleren Kind dann der Priester geworden?«
Er senkte den Blick wieder auf das Schneidbrett. »Das ist eine lange Geschichte, wie Sie sich vielleicht denken können.«
»Eine Geschichte, über die Sie reden wollen?«
»Meine Gründe werden Ihnen vermutlich unlogisch vorkommen.«
»Na ja, es ist schon seltsam, dass die wichtigsten Entscheidungen in unserem Leben normalerweise am allerwenigsten mit Logik zu tun haben. Wie zum Beispiel die Wahl eines Ehepartners.« Sie trank einen Schluck Wein und stellte das Glas wieder ab. »Meine eigene Ehe könnte ich jedenfalls nicht mit logischen Argumenten verteidigen.«
Er blickte auf. »Vielleicht hatte es weniger mit Logik als mit Lust zu tun?«
»Das trifft es schon eher. So habe ich den größten Fehler meines Lebens gemacht. Meines bisherigen Lebens, genauer gesagt.« Sie nahm noch einen Schluck Wein. Und du könntest mein nächster großer Fehler sein. Wenn Gott gewollt hätte, dass wir immer brav sind, hätte er
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