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Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Zimmer, und Paul schob die Türen hinter ihnen zu. Hier war es so düster, dass sie den Mann am Flügel kaum erkennen konnten. Es war also Livemusik gewesen, keine CD. Ein schwerer Vorhang war vor das Fenster gezogen und ließ nur einen dünnen Streifen Tageslicht herein. Cassell schaltete eine Lampe ein. Es war nur eine schwache Birne unter einem Schirm aus japanischem Reispapier, und dennoch kniff er die Augen zusammen, als ob sie ihn blendete. Auf dem Flügel stand ein Glas mit einer Flüssigkeit, die wie Whiskey aussah. Er war unrasiert, seine Augen blutunterlaufen – nicht das Gesicht eines eiskalten Geschäftemachers, sondern das eines Mannes, der so verzweifelt war, dass ihm sein Aussehen schon völlig gleichgültig war. Dennoch war es ein bemerkenswertes und nicht unattraktives Gesicht, mit einem so intensiven Blick, dass Rizzoli das Gefühl hatte, von ihm durchbohrt zu werden. Er war jünger, als sie es bei einem zum Großindustriellen aufgestiegenen Selfmademan erwartet hätte – vielleicht Ende vierzig. Noch jung genug, um an seine eigene Unbesiegbarkeit zu glauben.
    »Dr. Cassell«, sagte sie, »ich bin Detective Rizzoli vom Boston PD. Und das ist Detective Frost. Sie wissen, weshalb wir hier sind?«
    »Weil er sie mir auf den Hals gehetzt hat. Habe ich Recht?«
    »Wer?«
    »Dieser Detective Ballard. Er ist wie ein verdammter Pitbull.«
    »Wir sind hier, weil Sie Anna Leoni gekannt haben. Das Opfer.«
    Er griff nach seinem Whiskey. Seiner mitgenommenen Erscheinung nach zu urteilen, war es nicht sein erster Drink an diesem Tag. »Ich will Ihnen mal etwas über Detective
Ballard sagen, damit Sie nicht weiter alles für bare Münze nehmen, was er Ihnen erzählt. Der Mann ist ein Arschloch. Ein lupenreines Arschloch allererster Güte.« Er leerte sein Glas in einem Zug.
    Sie musste an Anna Leoni denken, an ihr zugeschwollenes Auge, ihre lila angelaufene Wange. Ich glaube, wir wissen, wer hier in Wirklichkeit das Arschloch ist.
    Cassell stellte das leere Glas ab. »Erzählen Sie mir, wie es passiert ist«, sagte er. »Ich muss es wissen.«
    »Wir haben ein paar Fragen an Sie, Dr. Cassell.«
    »Sagen Sie mir zuerst, was passiert ist.«
    Deshalb war er also bereit, uns zu empfangen, dachte sie. Er will Informationen. Er will herausfinden, wie viel wir wissen.
    »Ich habe gelesen, dass es ein Kopfschuss war«, sagte er. »Und sie wurde in ihrem Wagen gefunden?«
    »Das stimmt.«
    »Das weiß ich alles schon aus dem Boston Globe. Welche Waffe wurde verwendet? Welches Kaliber?«
    »Sie wissen, dass ich Ihnen das nicht sagen kann.«
    »Und es ist in Brookline passiert? Was zum Teufel hatte sie da verloren?«
    »Auch das kann ich Ihnen nicht sagen.«
    »Sie können es mir nicht sagen?« Er starrte sie an. »Oder wissen Sie es nicht?«
    »Wir wissen es nicht.«
    »War irgendjemand bei ihr, als es passierte?«
    »Es gab keine weiteren Opfer.« »Und wen haben Sie im Verdacht? Außer mir, meine ich?«
    »Wir sind hier, um Ihnen Fragen zu stellen, Dr. Cassell.«
    Cassell erhob sich mit unsicheren Bewegungen von der Klavierbank und ging zu einem Schrank. Er nahm eine Flasche Whiskey heraus und schenkte sich nach, wobei er es demonstrativ versäumte, seinen Gästen etwas zu trinken anzubieten.

    »Wie wär’s, wenn ich Ihnen einfach die eine Frage beantworte, wegen der Sie gekommen sind«, sagte er, indem er sich wieder an den Flügel setzte. »Nein, ich habe sie nicht getötet. Ich hatte sie schon seit Monaten nicht mehr gesehen.«
    »Wann haben Sie Ms. Leoni das letzte Mal gesehen?«, fragte Frost.
    »Das muss irgendwann im März gewesen sein, glaube ich. Ich bin eines Nachmittags an ihrem Haus vorbeigefahren. Sie stand an der Straße und holte gerade die Post aus dem Briefkasten.«
    »War das, bevor sie die einstweilige Verfügung gegen Sie erwirkt hatte, oder danach?«
    »Ich bin nicht ausgestiegen, okay? Ich habe sie noch nicht einmal angesprochen. Sie hat mich gesehen und ist gleich wieder ins Haus gegangen, ohne ein Wort zu sagen.«
    »Und was war der Sinn und Zweck Ihrer Aktion?«, fragte Rizzoli. »Wollten Sie sie einschüchtern?«
    »Nein.«
    »Was dann?«
    »Ich wollte sie einfach nur sehen, das ist alles. Ich habe sie vermisst. Ich …« Er brach ab und räusperte sich. »Ich vermisse sie immer noch.«
    Jetzt wird er als Nächstes sagen, dass er sie geliebt hat.
    »Ich habe sie geliebt«, sagte er. »Warum sollte ich ihr etwas antun?«
    Als hätten sie so etwas noch nie aus dem Mund eines Mannes

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