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Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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kaum, dass irgendjemand seine alte Oma so nahe am Haus begraben würde. Bringt Unglück, würde ich meinen.«
    »Manche Menschen haben gedacht, dass es Glück bringt.«
    »Was?«
    »Im Altertum glaubte man, dass ein unter dem Grundstein begrabener Säugling das Haus vor Unglück schützen würde.«
    Mitch starrte sie an – ein Blick, der zu sagen schien: Wer zum Teufel bist du eigentlich, Lady?
    »Ich will damit nur sagen, dass die Bestattungspraktiken sich im Lauf der Jahrhunderte verändert haben«, sagte Maura. »Hierbei könnte es sich durchaus um ein altes Grab handeln.«
    Über ihnen erhob sich plötzlich lautes Geflatter. Alle Krähen waren gleichzeitig aufgeflogen und kreisten mit hektischen Flügelschlägen über ihnen. Maura sah zu ihnen auf; der Anblick so vieler schwarzer Schwingen, die sich wie auf Kommando gleichzeitig in die Luft erhoben, machte sie nervös.

    »Eigenartig«, meinte Gresham.
    Maura richtete sich auf und blickte zum Waldrand. Sie erinnerte sich an das Geräusch des Bulldozers am Morgen und daran, wie nahe es ihr vorgekommen war. »In welcher Richtung liegt das Haus? Das, in dem ich letzte Nacht geschlafen habe?«, fragte sie.
    Gresham blickte zur Sonne auf, um sich zu orientieren, und streckte die Hand aus. »Da drüben. Sie schauen genau in die Richtung.«
    »Wie weit ist es?«
    »Gleich hinter den Bäumen dort. Sie könnten zu Fuß hingehen.«
     
    Der Gerichtsmediziner aus Augusta traf anderthalb Stunden später ein. Als er mit seinem Instrumentenkoffer in der Hand aus dem Wagen stieg, erkannte Maura den Mann mit dem weißen Turban und dem gepflegten Vollbart sofort. Sie hatte Dr. Daljeet Singh vergangenes Jahr bei einer Pathologenkonferenz kennen gelernt, und im Februar hatten sie zusammen zu Abend gegessen, als er an einer regionalen Tagung zur forensischen Medizin in Boston teilgenommen hatte. Daljeet war nicht besonders groß gewachsen, doch seine würdevolle Haltung und sein traditioneller Sikh-Kopfschmuck ließen ihn stattlicher erscheinen, als er tatsächlich war. Sein ruhiges, sicheres Auftreten hatte Maura von Anfang an beeindruckt. Und seine Augen – Daljeet hatte glänzende braune Augen und die längsten Wimpern, die sie je bei einem Mann gesehen hatte.
    Sie gaben sich die Hand, eine herzliche Begrüßung von zwei Kollegen, die einander ehrlich sympathisch waren. »Was bringt Sie denn hierher, Maura? Haben Sie in Boston nicht genug Arbeit? Müssen Sie deswegen in meinem Revier wildern?«
    »Ich dachte, ich kann hier ein ruhiges Wochenende verbringen, aber die Arbeit hat mich anscheinend eingeholt.«
    »Haben Sie die Überreste schon gesehen?«

    Sie nickte, und ihr Lächeln verflog. »Es handelt sich um einen linken Beckenkamm, der noch teilweise in der Erde steckt. Wir haben ihn noch nicht angerührt. Mir war klar, dass Sie ihn zuerst in situ würden sehen wollen.«
    »Keine anderen Knochen?«
    »Bis jetzt nicht.«
    »Also dann.« Er ließ den Blick über das gerodete Grundstück schweifen, wie um sich innerlich für den Marsch durchs Gelände zu wappnen. Ihr fiel auf, dass er das passende Schuhwerk mitgebracht hatte: edle Trekkingschuhe, die aussahen, als seien sie fabrikneu und sollten hier zum ersten Mal in matschigem Terrain erprobt werden. »Sehen wir uns mal an, was der Bulldozer zutage gefördert hat.«
    Inzwischen war es früher Nachmittag, die Luft so schwül und mit Feuchtigkeit gesättigt, dass Daljeets Gesicht in kürzester Zeit mit einem Schweißfilm bedeckt war. Kaum waren sie ein paar Schritte über die Lichtung gegangen, da umschwärmten sie bereits die Fliegen und Mücken und begrüßten begeistert die neue Frischblutlieferung. Zwanzig Minuten zuvor waren Detective Corso und sein Partner Yates von der Staatspolizei Maine eingetroffen; sie schritten jetzt zusammen mit Ballard und Gresham das Gelände ab.
    Corso winkte ihnen zu und rief: »Man kann sich angenehmere Beschäftigungen für so einen herrlichen Sonntag vorstellen, was, Dr. Singh?«
    Daljeet winkte zurück, dann bückte er sich, um den Beckenknochen in Augenschein zu nehmen.
    »Das Grundstück war einmal bebaut«, sagte Maura. »Die Arbeiter sagen, dass an dieser Stelle alte Fundamente waren.«
    »Aber keine Sargreste?«
    »Wir haben keine gefunden.«
    Er ließ den Blick über die zerklüftete Landschaft aus schlammverkrusteten Steinen, entwurzelten Unkrautbüscheln und Baumstümpfen schweifen. »Dieser Bulldozer könnte die Knochen in alle Himmelsrichtungen verteilt haben.«

    Plötzlich

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