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Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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einfach tat.
    Die Flasche, die er ihr brachte, war warm vom langen Liegen im Wagen. Sie trank so gierig, dass ihr das Wasser übers Kinn rann. Als sie die Flasche absetzte, merkte sie, dass Ballard sie beobachtete. Für einen langen Augenblick nahm sie das Summen der Insekten nicht mehr wahr, ebenso wenig wie das Gemurmel der Männer, die ein paar Meter weiter mit dem Schädel beschäftigt waren. Hier, im Schatten der Bäume, konnte sie sich ganz auf ihn konzentrieren. Auf die leichte Berührung seiner Hand, als er ihr die Flasche abnahm. Auf das weiche Licht, das in seinen Haaren spielte, und das Netz von Lachfalten um seine Mundwinkel. Sie hörte, wie Daljeet ihren Namen rief, doch sie antwortete nicht, drehte sich nicht um; und auch Ballard reagierte nicht, schien wie sie in diesem Augenblick gefangen. Einer von uns muss den Bann brechen. Einer von uns muss sich endlich losreißen. Aber ich bringe es offenbar nicht fertig.
    »Maura?« Daljeet stand plötzlich direkt neben ihr; sie hatte ihn gar nicht kommen gehört. »Wir haben da ein interessantes Problem«, sagte er.
    »Was für ein Problem?«
    »Kommen Sie mit und werfen Sie noch mal einen Blick auf diesen Beckenknochen.«

    Zögernd stand sie auf. Jetzt fühlte sie sich schon besser, das Schwindelgefühl war verflogen. Der Schluck Wasser, die paar Minuten im Schatten, hatten ihr neue Kraft gegeben. Zusammen mit Ballard folgte sie Daljeet zu der Stelle, wo der Beckenknochen lag. Sie sah, dass er bereits einen Teil der Erde entfernt und ein größeres Stück des Knochens freigelegt hatte.
    »Auf dieser Seite bin ich schon bis zum Kreuzbein vorgedrungen«, erklärte er. »Sie können gerade eben den Beckenausgang und den Sitzbeinhöcker erkennen.«
    Sie ließ sich neben ihm in die Hocke sinken. Einen Augenblick lang sagte sie nichts, sondern starrte nur den Knochen an.
    »Was ist denn das Problem?«, wollte Ballard wissen.
    »Wir müssen es ganz freilegen«, sagte sie. Sie blickte zu Daljeet auf. »Haben Sie noch eine Schaufel?«
    Er reichte ihr eine; es war, als drücke ihr jemand ein Skalpell in die Hand. Plötzlich war sie wieder im Dienst, voller Ernst und Entschlossenheit auf die Arbeit konzentriert. Daljeet und sie knieten wie zuvor Seite an Seite und schaufelten das steinige Erdreich zur Seite. Verschlungene Baumwurzeln waren durch die Beckenöffnungen gewachsen und fesselten die Knochen an das Grab. Sie mussten das Gestrüpp zerschneiden, um sie zu befreien. Je tiefer sie gruben, desto schneller schlug ihr Herz. Schatzsucher mochten nach Gold graben, sie grub nach Geheimnissen. Nach den Antworten, die nur ein Grab preisgeben kann. Mit jeder Schaufel voll Erde, die sie entfernten, kam mehr von dem Becken ans Licht. Sie arbeiteten jetzt wie im Fieber; Schicht um Schicht legten sie mit ihren Werkzeugen frei.
    Als sie endlich auf das ausgegrabene Becken blickten, waren sie beide so verblüfft, dass ihnen die Worte fehlten.
    Maura stand auf und ging zurück zu dem Schädel, der immer noch auf der Plastikplane lag. Sie kniete sich daneben, streifte die Handschuhe ab und fuhr mit den bloßen Fingern über den Stirnknochen, betastete die kräftig ausgeprägten
Augenbrauenbogen. Dann drehte sie den Schädel um und betrachtete den Knochenvorsprung am Hinterhauptbein.
    Das ergab keinen Sinn.
    Sie ließ sich auf die Fersen sinken. Ihre Bluse war in dieser unangenehm feuchten Luft inzwischen schweißgetränkt. Bis auf das Summen der Fliegen war es auf der Lichtung jetzt vollkommen still. Ringsum ragten die Bäume auf, als bewachten sie diesen verschwiegenen Ort. Sie starrte auf die undurchdringliche grüne Wand und hatte das Gefühl, dass unsichtbare Augen zurückstarrten, als ob der Wald selbst sie beobachtete. Und auf ihren nächsten Schritt wartete.
    »Was gibt’s, Dr. Isles?«
    Sie blickte zu Detective Corso auf. »Wir haben ein Problem«, sagte sie. »Dieser Schädel …«
    »Was ist damit?«
    »Sehen Sie die dicken Wülste hier über den Augenhöhlen? Und dann schauen Sie mal hier, an der Schädelbasis. Wenn Sie mit dem Finger darüber fahren, können Sie einen Höcker fühlen. Er wird Protuberantia occipitalis genannt.«
    »Und?«
    »Dort ist das Nackenband verankert, das die Nackenmuskeln mit dem Schädel verbindet. Die Tatsache, dass dieser Höcker so ausgeprägt ist, verrät mir, dass dieses Individuum eine kräftige Muskulatur hatte. Das hier ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Schädel eines Mannes.«
    »Und was ist das Problem

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