Schwesternmord
Einsatzkräfte gebracht hatten. Alles schmeckte nach dem Insektenschutzmittel, das sie sich in Unmengen aufs Gesicht geklatscht hatte, aber sie war so hungrig, dass sie auch einen trockenen Brotkanten mit Genuss verzehrt hätte. Nachdem sie ihren Hunger gestillt hatte, zog sie ihre Handschuhe wieder an, griff nach einer Schaufel und kniete sich neben Dr. Singh auf die Erde.
Es wurde vier Uhr, und noch immer dachte sie nicht an Aufbruch.
Die Pappkartons begannen sich mit Knochen zu füllen. Rippen und Rückenwirbel. Oberschenkel- und Schienbeinknochen. Der Bulldozer hatte die Knochen tatsächlich nicht sehr weit verteilt. Die Überreste der Frau fanden sich alle innerhalb eines Radius von zwei Metern; die des Mannes, verbunden durch ein Gewirr von Brombeerranken, lagen noch dichter beieinander. Es schien sich wirklich nur um zwei Individuen zu handeln, doch sie brauchten den ganzen Nachmittag, um sie freizulegen. Maura, gepackt vom Ausgrabungsfieber,
konnte sich einfach nicht losreißen – nicht, solange jede Schaufel Erde, die sie unter die Lupe nahm, irgendeine neue Entdeckung bringen konnte. Einen Knopf, eine Gewehrkugel oder einen Zahn. Als Studentin an der Stanford University hatte sie einmal in den Sommersemesterferien auf einer Ausgrabungsstätte in Baja California gearbeitet. Obwohl die Temperaturen dort im Lauf des Tages auf fast vierzig Grad angestiegen waren und ein breitkrempiger Hut ihr einziger Schutz vor der Sonne gewesen war, hatte sie bis in die heißesten Mittagsstunden hinein durchgearbeitet, getrieben von jenem Fieber, das alle Schatzsucher befällt, wenn sie überzeugt sind, dass sie nur noch Zentimeter vom nächsten Fundstück entfernt sind. Und dieses Fieber durchlebte sie jetzt wieder, als sie zwischen Farnwedeln kniete und mechanisch nach Mücken schlug. Dieses Fieber war es, das sie dazu trieb, den ganzen Nachmittag und bis in den Abend hinein immer weiter zu graben, auch dann noch, als am Himmel Gewitterwolken aufzogen und in der Ferne das erste Donnergrollen zu hören war.
Dieses Fieber und das leise Kribbeln, das sie immer empfand, wenn Rick Ballard sich ihr näherte.
Die ganze Zeit, während sie in der Erde wühlte und vorsichtig Wurzeln herauszog, war sie sich seiner Anwesenheit bewusst. Sie hörte seine Stimme, spürte seine Nähe. Er war es, der ihr eine neue Flasche Wasser brachte, der ihr das Sandwich in die Hand drückte. Der stehen blieb, um ihr eine Hand auf die Schulter zu legen und sie zu fragen, wie sie sich fühlte. Ihre männlichen Kollegen im Rechtsmedizinischen Institut fassten sie nur selten an. Vielleicht war es ihre distanzierte Art oder irgendein stummes Signal, das sie aussandte und das ihnen zu verstehen gab, dass sie keinen Wert auf Körperkontakt legte. Aber Ballard zögerte nicht, sie am Arm zu fassen oder ihr die Hand auf den Rücken zu legen.
Seine Berührungen trieben ihr das Blut in die Wangen.
Als das Team der Spurensicherung mit der Arbeit fertig
war und sich daran machte, die Geräte zu verpacken, registrierte sie verblüfft, dass es bereits sieben Uhr war; es begann schon zu dämmern. Ihre Muskeln schmerzten, ihre Kleider waren verdreckt. Als sie aufstand, zitterten ihre Knie vor Erschöpfung. Sie sah Daljeet zu, wie er die zwei Kartons mit den Gebeinen mit Klebeband verschloss. Dann nahmen sie jeder einen Karton und stapften über die Lichtung zu seinem Wagen.
»Ich glaube, nach dem heutigen Tag schulden Sie mir ein Essen, Daljeet«, sagte sie.
»Restaurant Julien. Versprochen. Wenn ich das nächste Mal in Boston bin.«
»Und ich verspreche Ihnen, dass ich vorhabe, die Einladung wahrzunehmen.«
Er lud die Kartons in sein Auto und schlug die Tür zu. Zum Abschied reichten sie sich die mit Erde verkrusteten Hände, und sie winkte ihm nach, als er davonfuhr. Die meisten Teilnehmer der Suchaktion waren bereits gegangen; nur noch ein paar Fahrzeuge standen am Wegrand.
Eines davon war Ballards Explorer.
In der heraufziehenden Dämmerung blieb sie noch eine Weile stehen und ließ den Blick über die Lichtung schweifen. Er stand am Waldrand, mit dem Rücken zu ihr, und sprach mit Detective Corso. Sie zögerte immer noch und hoffte, er würde irgendwann merken, dass sie aufbrechen wollte.
Und was dann? Was wollte sie eigentlich von ihm?
Sieh zu, dass du hier fortkommst, bevor du dich vollkommen lächerlich machst.
Abrupt drehte sie sich um und ging zu ihrem Wagen. Ließ den Motor an und trat so heftig aufs Gaspedal, dass die Räder durchdrehten.
Im
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