Schwesternmord
ertönte eine Hupe. Die Ampel war auf Grün gesprungen.
»Arschloch«, brummte Rizzoli, während sie über die Kreuzung bretterte.
Sie nahmen den Massachusetts Turnpike Richtung Westen, um nach Framingham zu gelangen. Rizzolis Subaru wurde zwischen Konvois von Sattelschleppern und wuchtigen Geländewagen bedrohlich eingezwängt. Nach nur einem Wochenende auf den ruhigen Straßen von Maine war es ein regelrechter Schock für Maura, sich wieder auf einem viel befahrenen Highway zu finden, wo ein winziger Fehler, ein Sekundenbruchteil der Unaufmerksamkeit, den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten konnte. Rizzolis schneller und furchtloser Fahrstil machte Maura nervös; gerade ihr, die nie ein unnötiges Risiko einging, die immer
nur das sicherste Auto mit doppelten Airbags fuhr, die ihre Tankanzeige nie unter ein Viertel fallen ließ, fiel es schwer, die Kontrolle abzugeben. Besonders, wenn tonnenschwere Lastzüge nur Zentimeter an ihrem Fenster vorbeibrausten.
Erst als sie vom Turnpike auf die Route 126 Richtung Framingham abgefahren waren, konnte Maura sich ein wenig entspannen, erst jetzt konnte sie sich zurücklehnen und war nicht ständig versucht, sich am Armaturenbrett festzuklammern. Aber jetzt bedrängten sie andere Ängste: nicht mehr rasende Kolosse aus Stahl, sondern die bevorstehende Begegnung mit – ihr selbst.
Davor fürchtete sie sich; und davor, dass sie hassen würde, was sie sah.
»Sie können es sich jederzeit noch anders überlegen«, sagte Rizzoli, als hätte sie ihre Gedanken gelesen. »Sie müssen nur etwas sagen, dann kehre ich sofort um. Wir können stattdessen ins Friendly’s gehen und einen Kaffee trinken. Und vielleicht ein Stück Apfelkuchen essen.«
»Denken schwangere Frauen eigentlich immer nur ans Essen?«
»Jedenfalls diese schwangere Frau.«
»Ich werde es mir aber nicht anders überlegen.«
»Okay, okay.« Rizzoli fuhr eine Weile schweigend weiter. »Ballard war heute Morgen bei mir.«
Maura sah sie an, doch Rizzolis Blick war starr auf die Straße gerichtet. »Wieso?«
»Er wollte mir erklären, warum er uns nicht von Ihrer Mutter erzählt hat. Hören Sie, ich weiß, dass Sie sauer auf ihn sind, Doc. Aber ich glaube wirklich, dass er versucht hat, Sie zu schützen.«
»Hat er Ihnen das gesagt?«
»Ich glaube ihm. Vielleicht bin ich in dieser Sache sogar seiner Meinung. Ich habe auch daran gedacht, Ihnen diese Information vorzuenthalten.«
»Aber Sie haben es nicht getan. Sie haben mich angerufen.«
»Ich will doch nur sagen, dass ich verstehen kann, warum er es Ihnen nicht sagen wollte.«
»Er hatte kein Recht, mir diese Information vorzuenthalten.«
»Ach, wissen Sie, das ist eben typisch Mann. Vielleicht auch typisch Cop. Sie wollen alle immer die kleine Lady beschützen …«
»Und deshalb halten sie mit der Wahrheit hinterm Berg?«
»Ich sage bloß, dass ich verstehe, was ihn dazu gebracht hat.«
»Würden Sie sich denn nicht darüber ärgern?«
»Aber klar doch.«
»Also, warum verteidigen Sie ihn dann?«
»Weil er so ein toller Typ ist?«
»Oh, bitte!«
»Ich sage Ihnen nur, dass es ihm Leid tut. Aber ich denke, das hat er Ihnen selbst auch schon zu sagen versucht.«
»Ich war nicht in der Stimmung, eine Entschuldigung zu akzeptieren.«
»Also sind Sie einfach weiter sauer auf ihn?«
»Warum müssen wir das so ausführlich diskutieren?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht ist es wegen der Art und Weise, wie er über Sie geredet hat. Als wäre da oben zwischen Ihnen beiden etwas gelaufen. War es so?«
Maura spürte, wie Rizzoli sie mit ihren wachen Polizistinnenaugen beobachtete, und sie wusste, dass Rizzoli es sofort merken würde, wenn sie log.
»Ich kann im Moment keine komplizierten Beziehungskisten gebrauchen.«
»Was ist daran denn so kompliziert? Ich meine, abgesehen von der Tatsache, dass Sie sauer auf ihn sind?«
»Eine Tochter. Eine Exfrau.«
»Die Männer in seinem Alter sind doch alle nicht mehr fabrikneu. Da gibt’s immer irgendwo eine Ex.«
Maura blickte nach vorne auf die Straße. »Ach, wissen Sie, Jane, nicht jede Frau ist zum Heiraten bestimmt.«
»Das habe ich auch immer gedacht, und Sie sehen ja, was daraus geworden ist. Zuerst kann ich den Kerl nicht ausstehen, und am nächsten Tag geht er mir schon nicht mehr aus dem Kopf. Ich hätte nie gedacht, dass es mal so weit kommen würde.«
»Gabriel ist einer von den Guten.«
»Ja, er ist wirklich eine ehrliche Haut. Aber die Sache ist doch die: Er hat bei mir genau
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