Schwesternmord
Augen. »So. Ich war brutal ehrlich. Ist es das, was Sie wollten?«
»Was war die Todesursache?«, fragte sie. Ihre Stimme klang seltsam, ja erschreckend ruhig. »Sie sagten, die Leichen seien verbrannt worden, aber wie wurden die Opfer getötet?«
Er starrte sie ein paar Sekunden lang an, als nähme er ihr ihre Gefasstheit nicht ganz ab. »Die Röntgenaufnahmen der verkohlten Leichen ließen bei beiden Frauen Schädelfrakturen erkennen, die ihnen höchstwahrscheinlich mit dem besagten Montiereisen beigebracht wurden. Die jüngere Schwester, Nikki, wurde mit solcher Wucht ins Gesicht geschlagen, dass die Gesichtsknochen eingedrückt wurden und nur ein Krater zurückblieb. Da sehen Sie, was für ein teuflisches Verbrechen es war.«
Sie dachte über das Szenario nach, das er soeben vor ihr ausgebreitet hatte. Die verschneite Straße, am Straßenrand die beiden Schwestern. Als eine Frau anhält, um zu helfen, haben sie allen Grund, ihrer guten Samariterin zu vertrauen – zumal, wenn sie älter ist. Schon ergraut. Eine Frau, die Frauen hilft.
Sie sah Ballard an. »Sie sagten, Anna habe nicht an ihre Schuld geglaubt.«
»Ich habe Ihnen gerade erzählt, was den Geschworenen beim Prozess präsentiert wurde. Das Montiereisen, das Video von der Tankstelle. Die gestohlenen Brieftaschen. Sie wäre von jedem Gericht verurteilt worden.«
»Das ist jetzt fünf Jahre her. Wie alt war Amalthea damals?«
»Ich weiß es nicht mehr genau. Jedenfalls über sechzig.«
»Und sie hat es fertig gebracht, zwei Frauen zu überwältigen und zu töten, die Jahrzehnte jünger waren als sie?«
»Mein Gott, jetzt tun Sie schon genau dasselbe wie Anna. Sie zweifeln das Offensichtliche an.«
»Weil das Offensichtliche nicht immer die Wahrheit ist. Jeder normale Mensch hätte sich gewehrt oder wäre davongelaufen. Warum haben Theresa und Nikki das nicht getan?«
»Sie müssen überrascht worden sein.«
» Beide? Warum ist nicht wenigstens die zweite geflohen?«
»Eine der beiden war nicht gerade im Vollbesitz ihrer Kräfte.«
»Wie meinen Sie das?«
»Die jüngere Schwester, Nikki. Sie war im neunten Monat schwanger.«
14
Mattie Purvis wusste nicht, ob es Tag oder Nacht war. Ohne Uhr konnte sie nicht feststellen, wie viele Stunden oder Tage schon vergangen waren. Das war das Schwerste überhaupt – nicht zu wissen, wie lange sie bereits in dieser Kiste gefangen war. Wie viele Herzschläge, wie viele Atemzüge lang sie bereits hier festsaß, allein mit ihrer Angst. Sie hatte versucht, die Sekunden zu zählen, dann die Minuten, aber schon nach fünf hatte sie aufgegeben. Es war eine sinnlose Beschäftigung, auch wenn es half, sie von ihrer Verzweiflung abzulenken.
Sie hatte schon jeden Quadratzentimeter ihres Gefängnisses erkundet, doch sie hatte keine Schwachstellen entdeckt, keine Ritzen oder Spalten, die sie hätte vertiefen oder erweitern können. Sie hatte die Decke unter sich ausgebreitet, ein willkommenes Polster zwischen ihr und dem harten Holz; sie hatte gelernt, die Plastik-Bettpfanne zu benutzen, ohne dass allzu viel daneben ging. Auch wenn man in einer Kiste gefangen ist, stellt sich irgendwann eine Art Routine ein: Schlafen. Wasser trinken. Pinkeln. Das Einzige, woran sie einigermaßen ablesen konnte, wie viel Zeit vergangen war, waren ihre Lebensmittelvorräte. Wie viele Schokoriegel sie schon gegessen hatte und wie viele noch übrig waren.
Es waren noch zwölf Riegel in der Tüte.
Sie schob sich ein Stück Schokolade in den Mund, kaute aber nicht, sondern ließ es auf der Zunge zergehen, bis nur noch das herb-süße Aroma zurückblieb. Sie hatte Schokolade immer geliebt, hatte nie an einem Süßwarengeschäft vorbeigehen können, ohne die Trüffeln zu bewundern, die wie dunkle Juwelen in ihren Papiernestern lagen. Sie dachte an bitteres Kakaopulver, an Pralinen mit Kirschfüllung und Rumsirup, der ihr übers Kinn lief – nicht zu vergleichen
mit dieser schlichten Milchschokolade. Aber Schokolade war Schokolade, und sie genoss das, was sie hatte.
Es würde nicht ewig reichen.
Sie sah auf die zerknüllten Papierchen hinunter, mit denen der Boden ihres Gefängnisses übersät war, und registrierte entsetzt, wie viel sie von ihren Vorräten schon verzehrt hatte. Was würde passieren, wenn alles aufgebraucht war? Sicherlich würde sie noch mehr bekommen. Warum sollte ihr Entführer sie mit Essen und Wasser versorgen, nur um sie ein paar Tage später verhungern und verdursten zu lassen?
Nein, nein, nein. Er will,
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