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Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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schauen, dachte sie. Wovor haben sie Angst?
    Gurley führte die Besucherinnen in ihr Büro und schloss die Tür. »Bitte, setzen Sie sich.«
    Das Zimmer war eine Überraschung. Maura hatte geglaubt, dass es ein Abbild von Gurley selbst sein würde, funktional und schmucklos. Stattdessen sah sie überall Fotos von lächelnden Gesichtern. Frauen mit Babys auf dem Arm,
Kinder, die mit fein säuberlich gekämmten Haaren und gebügelten Hemden für die Kamera posierten. Ein frisch vermähltes Paar, umringt von einer vielköpfigen Kinderschar. Seine, ihre, unsere.
    »Meine Mädels«, sagte Gurley und blickte lächelnd auf die mit Fotos gepflasterte Wand. »Das sind diejenigen, die den Weg zurück in die Gesellschaft gefunden haben. Diejenigen, die die richtigen Entscheidungen getroffen und ihr Leben selbst in die Hand genommen haben. Leider«, fuhr sie fort, und ihr Lächeln verflog, »leider wird Amalthea Lanks Bild nie an dieser Wand hängen.« Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und sah Maura an. »Ich bin mir nicht sicher, ob Ihr Besuch hier wirklich eine gute Idee ist, Dr. Isles.«
    »Ich habe meine leibliche Mutter nie kennen gelernt.«
    »Das ist ja gerade der Grund für meine Bedenken.« Gurley lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und betrachtete Maura eine Weile. »Wir möchten alle unsere Mütter lieben. Wir wollen, dass sie ganz besondere Frauen sind, weil das uns als ihre Töchter zu etwas Besonderem macht.«
    »Ich erwarte nicht, dass ich sie lieben werde.«
    »Was erwarten Sie dann?«
    Die Frage zwang Maura innezuhalten. Sie dachte an die imaginäre Mutter, die sie als Kind in ihrer Fantasie heraufbeschworen hatte, seit ihre Cousine eines Tages mit der brutalen Wahrheit herausgeplatzt war – dass Maura adoptiert war. Dass dies der Grund war, weshalb sie als Einzige in einer Familie von Blondschöpfen schwarze Haare hatte. Sie hatte sich eine Märchenmutter zusammengebastelt, basierend auf ihrer dunklen Haarfarbe. Eine italienische Erbin, die gezwungen war, ihr unter skandalösen Umständen empfangenes Kind wegzugeben. Oder eine spanische Schönheit, im Stich gelassen von ihrem Geliebten, tragischerweise gestorben an gebrochenem Herzen. Immer hatte sie sich, wie Gurley es angedeutet hatte, eine ganz besondere, ja außergewöhnliche Frau vorgestellt. Jetzt war sie im Begriff, statt der Fantasiegestalt der echten Frau aus Fleisch und Blut gegenüberzutreten,
und beim Gedanken daran war ihr Mund wie ausgetrocknet.
    Rizzoli wandte sich an Gurley: »Wieso glauben Sie, dass sie ihre Mutter nicht sehen sollte?«
    »Ich möchte sie lediglich bitten, bei diesem Besuch Vorsicht walten zu lassen.«
    »Wieso? Ist die Insassin gefährlich?«
    »Nicht in dem Sinne, dass sie plötzlich aufspringen und einen Besucher physisch attackieren würde. Im Gegenteil, nach außen hin ist sie sogar lammfromm.«
    »Und innen drin?«
    »Bedenken Sie, was die Frau getan hat, Detective. Wie viel blinde Wut braucht es, um mit einer Eisenstange derart zuzuschlagen, dass man den Schädel einer Frau zerschmettert? Und jetzt beantworten Sie mir die Frage: Was verbirgt sich unter Amaltheas friedlicher Fassade?« Gurley sah Maura an. »Sie müssen mit offenen Augen an diese Sache herangehen, und Sie müssen sich im Klaren darüber sein, mit wem Sie es zu tun haben.«
    »Die Hälfte meines Erbguts stammt von ihr«, sagte Maura. »Aber ich habe keine emotionale Beziehung zu dieser Frau.«
    »Dann sind Sie also einfach nur neugierig.«
    »Ich muss dieses Kapitel abschließen. Ich muss es hinter mir lassen.«
    »Das hat Ihre Schwester wahrscheinlich auch gedacht. Sie wissen doch, dass sie Amalthea hier besucht hat?«
    »Ja, ich habe es gehört.«
    »Ich glaube nicht, dass es ihr den erhofften Seelenfrieden gebracht hat. Ich glaube, es hat sie nur aufgewühlt.«
    »Wieso?«
    Gurley schob Maura einen Aktenordner über den Schreibtisch zu. »Das ist Amaltheas psychiatrische Krankenakte. Alles, was Sie über sie wissen müssen, steht da drin. Warum lesen Sie nicht einfach die Akte, anstatt sie zu besuchen? Lesen Sie, und dann gehen Sie und vergessen Sie sie ganz einfach.«

    Maura rührte die Akte nicht an. Es war Rizzoli, die nach dem Ordner griff und fragte: »Sie ist in psychiatrischer Behandlung?«
    »Ja«, antwortete Gurley.
    »Weshalb?«
    »Weil Amalthea schizophren ist.«
    Maura starrte die Gefängnisdirektorin entgeistert an. »Aber wieso wurde sie dann wegen Mordes verurteilt? Wenn sie schizophren ist, sollte sie nicht im Gefängnis sitzen. Sie

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