Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
Amniotic-Band-Syndrom .
    Eine Missbildung des Fetus. Monate vor ihrem Tod hatte Nikki Wells erfahren, dass ihr Kind ohne rechtes Bein zur Welt kommen würde, und doch hatte sie sich entschlossen, die Schwangerschaft nicht abzubrechen, ihr Kind zu behalten.
    Maura wusste, dass die letzten Seiten der Akte am schwersten zu ertragen sein würden. Sie hätte liebend gerne auf die Fotos verzichtet, dennoch zwang sie sich weiterzublättern. Sie sah Rumpf und Gliedmaßen, alles schwarz verkohlt. Nichts mehr zu sehen von der hübschen jungen Frau, vom rosigen Glanz der Schwangerschaft; nur ein Totenschädel, der hinter einer verkohlten Maske hervorlugte, die Gesichtsknochen durch den tödlichen Schlag eingedrückt.
    Das hat Amalthea Lank getan. Meine Mutter. Sie hat ihnen den Schädel eingeschlagen und ihre Leichen in einen Schuppen geschleift. Als sie sie mit Benzin übergossen und das Streichholz entfacht hat, als sie zugesehen hat, wie die Flammen zischend aufloderten, hat sie da einen Kitzel der Lust empfunden? Ist sie noch eine Weile neben dem brennenden
Schuppen stehen geblieben, um den Gestank von versengtem Haar und verbranntem Fleisch einzuatmen?
    Als sie den Anblick nicht länger ertragen konnte, schlug sie die Akte zu und wandte ihre Aufmerksamkeit den beiden großen Röntgenfilmumschlägen zu, die ebenfalls auf ihrem Schreibtisch lagen. Sie ging damit zum Leuchtkasten, wo sie zunächst die Schädel- und Halsaufnahmen von Theresa Wells aufhängte. Das Licht flackerte auf und ließ die gespenstischen Konturen von Knochen aufleuchten. Der Anblick der Röntgenaufnahmen waren viel leichter zu ertragen als der von Fotos. Ohne das Fleisch, das einem Menschen das individuelle Aussehen verleiht, büßen Leichen viel von ihrem Schrecken ein. Ein Skelett sieht aus wie das andere. Der Schädel, den sie nun am Leuchtkasten erblickte, hätte jeder beliebigen Frau gehören können, einer Verwandten oder einer völlig Fremden. Sie betrachtete den zertrümmerten Schädel, das eingedrückte Knochendreieck. Der Schlag hatte den Kopf nicht nur gestreift – um diesen Knochensplitter so tief in den Schläfenlappen hineinzutreiben, musste der Täter gezielt und mit brutaler Wucht zugeschlagen haben.
    Sie nahm Theresas Röntgenbilder ab und griff in den zweiten Umschlag, um zwei neue Aufnahmen an den Kasten zu hängen. Wieder ein Schädel – diesmal Nikkis. Wie ihre Schwester hatte auch Nikki einen Schlag auf den Kopf bekommen, doch er hatte sie von vorne getroffen und das Stirnbein zerschmettert. Beide Augenhöhlen waren so stark eingedrückt, dass die Augäpfel regelrecht zerplatzt sein mussten. Nikki Wells hatte den Schlag mit Sicherheit kommen sehen.
    Maura nahm die Schädelaufnahmen ab und klemmte ein neues Paar Röntgenbilder an, die Nikkis Rückgrat und Becken zeigten, erstaunlich unversehrt unter dem vom Feuer verwüsteten Fleisch. Über den Beckenknochen war das Skelett des Fetus zu erkennen. Obwohl die Flammen Mutter und Kind zu einer einzigen verkohlten Masse verschmolzen
hatten, konnte Maura auf der Röntgenaufnahme klar erkennen, dass es sich um zwei verschiedene Individuen handelte. Zwei Skelette, zwei Opfer.
    Und sie sah noch etwas anderes: einen hellen Fleck, der sich trotz des Gewirrs von ineinander verschränkten Knochen deutlich abhob. Es war nur ein nadeldünner Strich über Nikki Wells’ Schambein. Ein winziger Metallsplitter? Vielleicht ein Fragment ihrer Bekleidung – ein Stück von einem Reißverschluss oder einer Sicherheitsnadel -, das an der verbrannten Haut klebte?
    Maura griff erneut in den Umschlag und fand eine Seitenansicht des Rumpfs, die sie neben die Vorderansicht hängte. Auch auf diesem Bild war der Metallsplitter zu erkennen, doch nun konnte sie sehen, dass er nicht über dem Schambein lag, sondern im Knochen selbst zu stecken schien.
    Jetzt zog sie alle Filme aus Nikkis Umschlag und hängte sie auf, immer zwei zugleich. Sie entdeckte die Verschattungen, die Dr. Hobart in der Brustaufnahme gesehen hatte; gebogene Metallstücke, hinter denen sich Haken und Ösen eines BH-Verschlusses verbargen. Auf den Seitenansichten waren die gleichen Metallringe deutlich im überlagernden weichen Gewebe zu erkennen. Nun hängte sie wieder die Beckenaufnahmen an den Kasten und fixierte jenen rätselhaften Metallsplitter, der in Nikki Wells’ Schambein steckte. Dr. Hobart hatte ihn zwar in seinem Bericht erwähnt, doch in seinem Fazit hatte er nichts weiter dazu gesagt. Vielleicht hatte er ihn als unbedeutendes

Weitere Kostenlose Bücher