Schwiegertöchter (German Edition)
gedacht, er muss sie heiraten.«
Luke strich mit der Zunge an Charlottes Hand entlang. »Nein, eigentlich nicht. Und ich glaube, Petra hätte das auch nicht von ihm erwartet. Sie war kein bisschen konventioneller als er. Sie hätte wahrscheinlich nur mit den Schultern gezuckt und weitergemacht, das Baby in einem Korb mit in den Unterricht genommen, oder so. Es waren Mum und Dad, die die Hochzeit wollten. Sie wollten, dass die beiden heiraten.«
»Anstandshalber?«
»Nicht wirklich«, antwortete Luke. Er stemmte sich hoch und strich mit der Hand durch Charlottes feuchtes Haar. »Sie sind ein cooles altes Ehepaar in mancherlei Hinsicht, sie legen nicht viel Wert auf Äußerlichkeiten, auf Konformismus. Es war wohl eher, dass sie Petra nicht gehen lassen wollten. Sie hatten sie gewissermaßen adoptiert. Sie mochten sie nicht einfach verlieren nach allem, was sie gegeben und nachdem sie sich so an sie gewöhnt hatten. Zumindest glaube ich das.«
Charlotte war ganz still.
»Bist du schockiert, mein Engel?«, fragte Luke.
»Nein.«
Er musterte ihr Gesicht, seine Augen nur wenige Zentimeter von ihren entfernt. »Was ist denn?«
»Es ist ein bisschen albern …«
»Was denn?«
»Dieses Gefühl«, sagte Charlotte. »Ich meine, ich habe meine eigene Familie, die ich sehr liebe, und deine Eltern, die wirklich reizend zu mir gewesen sind, aber wenn ich höre, was sie für Petra empfinden, dann … na ja, dann bin ich ein bisschen …« Sie unterbrach sich.
»Was?«
»Eifersüchtig«, sagte Charlotte.
Luke wich ein wenig zurück. »Du bist so eine dumme, anbetungswürdige Gans.«
Charlotte senkte den Kopf und sagte: »Da ist Sigi, verstehst du, so gepflegt und erfolgreich und gescheit und unabhängig, und sie gehört schon seit Ewigkeiten zu eurer Familie, und dann ist da Petra, die alle wie eine Tochter behandeln, wie eine kleine Schwester, und mit alldem zu konkurrieren ist manchmal ein bisschen viel, vor allem, wenn man schon sein ganzes Leben lang mit Schwestern konkurrieren musste und weder studiert hat noch irgendein Talent besitzt, oder so …«
»Schsch«, besänftigte Luke.
Charlotte schaute nicht auf. Luke legte ihr die Hand unters Kinn und hob es an, bis sich ihre Blicke trafen.
»Es kommt darauf an, was ich denke«, sagte Luke. »Und du weißt, was ich denke. Und wenn meine Familie dich mal besser kennt, werden sie dasselbe denken, wenn sie es nicht schon jetzt tun, denn niemand kann dich auch nur ein bisschen kennen und es nicht denken.«
Er beugte sich vor und küsste sie auf den Mund. Dann sagte er: »Zur Hölle mit Ralph und seinen Problemen. Wir haben uns mit sehr viel wichtigeren Dingen zu befassen.« Und er lächelte sie an und riss ihr mit einer einzigen heftigen Bewegung das Handtuch weg.
Die Wohnung, die Luke für sie in London gefunden hatte, befand sich im obersten Stock eines großen und ornamentreichen Backsteingebäudes auf dem Arnold Circus, nur einen Steinwurf vom Columbia-Road-Blumenmarkt, von Brick Lane, vom – oh mein Gott – trendigen Hoxton entfernt, wie Charlotte aufgeregt Nora und all ihren Freundinnen erzählte. Das Gebäude war wie alle anderen, die den Platz wie große Schiffe umringten, im neunzehnten Jahrhundert als Teil eines großen philanthropischen Projekts des sozialen Wohnungsbaus entworfen worden, um Licht und Luft und hygienische Lebensbedingungen für Menschen zur Verfügung zu stellen, die bis dahin nur wimmelnde Slums gekannt hatten. Das Häuserrund war eindrucksvoll, roter Backstein, hier und da mit hell glasierten Ziegeln verziert, die eine Art Norwegermuster bildeten. In der Mitte stand, leicht erhöht und umsäumt von Hausaufgängen und gewaltigen Platanen, ein einladender kleiner Pavillon mit spitzem Dach. Dort hatte Charlotte bei ihrem ersten Besuch zwei dünne Jungen gesehen, die auf ihren Gitarren zupften und vor einem Publikum aus Müttern mit Babys und gepflegten alten Männern in Kurtas und bestickten Käppis holprig vor sich hin sangen. Es war ihr wundervoll lebendig und wundervoll exotisch vorgekommen. Sie hatte in einem bezaubernden kleinen Geschäft auf der Calvert Avenue ein paar Falafel und einen Salat aus sonnengetrockneten Tomaten gekauft, so dass sie in der leeren, staubigen Wohnung, für die Luke gerade erst den Mietvertrag unterzeichnet hatte, ein Picknick machen konnten. Sie hatte das Gefühl gehabt, die Zukunft würde vor ihr aufleuchten wie ein mit blinkenden Lichtern dekoriertes Karussell auf einer Kirmes.
Die Wohnung hatte zwei
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