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Schwiegertöchter (German Edition)

Schwiegertöchter (German Edition)

Titel: Schwiegertöchter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Trollope
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schwebte. Er dachte an den Handelsraum in der Bank, wo sie alle zehn Stunden am Tag in ihre Headphones geschrien hatten. Er dachte an die Strände, wo er an den Wochenenden allein im Sand gesessen und beobachtet hatte, wie die Sonne unterging, um dann ganz plötzlich im Meer zu verschwinden, und hatte sich vorgestellt, dass da draußen in der tiefblauen See die erste der unzähligen Inseln Indonesiens lag. Er schloss die Augen. Plötzlich wurde er von einem so heftigen Freiheitsdrang gepackt, dass ihm beinahe die Luft wegblieb.
    Er steckte den Geldschein zurück in die Tasche und machte die Augen wieder auf. In dem schmalen Spiegel, den er hinter der Schlafzimmertür aufgehängt hatte und dessen untere Rahmenleiste Kit mit Aufklebern von Bob dem Baumeister dekoriert hatte, sah er in Anzughosen ziemlich verändert aus, selbst mit verwaschenem und ausgeleiertem dunkelgrünem T-Shirt und Zweitagebart. Er fand das dazugehörige Sakko und zog es an. Es sah beeindruckend aus, trotz T-Shirt und Knitterfalten. Er straffte die Schultern. Der Anzug verlieh ihm Statur und Autorität. Ralph holte Luft und überlegte, ob er noch irgendwelche Hemden hatte und Schuhe. Zwar hatte er geschworen, nie wieder eine Krawatte zu tragen, aber irgendwie machte eine Krawatte ein Hemd erst vollständig. Wie Manschettenknöpfe. Trugen Leute noch Manschettenknöpfe? Hatte er noch welche?
    Ralph tappte in Socken und Anzug runter in die Küche. Er füllte den Wasserkocher. Wirklichen Hunger oder Durst hatte er nicht, aber er verspürte eine Art inneren Aufruhr, die Erinnerung an etwas, das irgendwie aufregend und belebend war – gewesen war – und das gefeiert werden sollte, zumindest mit einem Kaffee. Er dachte daran, wie unbeschwert er sich in Singapur gefühlt hatte, wo man nichts weiter von ihm verlangt hatte, als seine Begabung einzusetzen und das zu tun, worin er gut war, um dann am Abend, an den Wochenenden frei und völlig unabhängig zu sein. Ralph fragte sich jetzt, warum er geglaubt hatte, er wäre dessen überdrüssig, und wie er das alles so mutwillig hatte hinwerfen können. Ihm fiel ein, wie er seine Krawatte – es könnte durchaus eine Hermès-Krawatte gewesen sein, die er mal am Flughafen Changi erstanden hatte – in einen Firmenpapierkorb geworfen hatte, und er staunte über seine Idiotie. Was hatte er sich nur dabei gedacht?
    Er sah sich in der Küche um. Es war nicht Petras Küche in der Weise, wie die Küche seiner Mutter eindeutig die Küche seiner Mutter war. Es war ihre gemeinsame Küche, oder zumindest war es die Küche, die aus einem freundlichen quadratischen Raum mit Spüle und Herd durch die gemeinsame Benutzung entstanden war. Er hatte die Wände blau gestrichen, damit Petra Vögel und Wolken und Sternbilder daraufmalen konnte, und sie hatten die hier und da wahllos erstandenen Möbel weniger nach ästhetischen Maßstäben als nach Bequemlichkeit angeordnet. Sie lebten hier einfach, und der Wäschehaufen bekam seinen Platz ebenso wie der Wasserkocher und die Müslipackungen oder die Plastikbecher der Jungs. Würde er das vermissen?, fragte sich Ralph. Wenn sie diese Küche und das Haus verlassen und woandershin ziehen müssten, damit Ralph in Anzug, Hemd, Krawatte und Manschettenknöpfen jeden Tag mit dem Zug in eine Welt aus Glas und Stahl pendeln konnte, die ihm in diesem Moment allen nostalgischen Glanz von Singapur verhieß, würde es ihm wirklich etwas ausmachen?
    Die Küchentür nach draußen ging auf. Kit kam in seinem Spiderman-T-Shirt herein, in der Hand eine erdige Möhre und einen Stock.
    »Guck mal!«
    »Ich gucke.«
    »Die hab ich selbst rausgezogen«, sagte Kit.
    »Gut gemacht. Willst du sie gleich essen?«
    Kit ließ die Karotte auf den Boden fallen. »Nein.«
    »Wow«, sagte Petra von der Tür. »Wie siehst du denn aus?«
    Ralph nahm Haltung an. »Wie findest du’s?«
    Petra hatte Barney auf dem Arm. Sie bückte sich, um ihn auf dem Boden abzusetzen. Er machte sich sofort über Kits weggeworfene Möhre her.
    »Nicht mein Geschmack«, sagte Petra. »Aber cool.«
    »Kannst du das irgendwie bügeln, oder so?«
    »Okay.«
    »Ich hab keine Hemden.«
    Petra ging wieder raus und kam mit einem Korb voller Gemüse zurück. »Guck mal.«
    »Hat Kit auch schon gesagt.«
    »Kit hat sie nur rausgeholt. Ich hab sie angepflanzt. Möhren, Spinat, Radieschen, Salat.«
    Ralph ging durch die Küche und spähte in den Korb. »Beeindruckend.«
    »Es macht mir Spaß«, erklärte Petra.
    »Der

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