Schwiegertöchter (German Edition)
und dann ist Ralph runtergekommen und hat gesagt, danke, dass du vorbeigekommen bist, Mum, und mir war klar, dass ich – irgendwie entlassen war.«
Anthony stand langsam auf. »Und wo bist du dann gewesen?«
»Unten am Meer.«
»Wo?«
»Ich hab in Shingle Street geparkt«, sagte Rachel. »Beim Cottage, wo sie laut Petra so glücklich gewesen sind.«
Anthony trat zu ihr und sagte: »Der Tag ist gründlich schiefgelaufen.«
»Du sagst es.«
Er wollte sagen: Du musst ihn hinter dir lassen, dachte dann aber, dass sie beide zu müde waren für das, was zwangsläufig darauf folgen würde, und wahrscheinlich wusste es Rachel ohnehin, nur dass sie nach einem solchen Tag nicht mit dieser Erkenntnis konfrontiert werden wollte. Er stand eine Weile einfach so neben ihr, bis sie fragte:
»Hat jemand angerufen?«
»Die Jungs? Nein.«
»Ich dachte, Luke würde sich vielleicht melden.«
»Nein.«
»Oder Edward.«
»Nein.«
»Sigi …«
»Hör auf«, sagte Anthony. »Ich trinke einen Whiskey. Willst du auch einen?«
Rachel schüttelte den Kopf. Sie ließ ihren Blick durch die Küche schweifen, betrachtete die Farben, all die Gegenstände, die sich angesammelt hatten, die Becher an den Holzhaken, die großen Keramikobstschalen, die verkerbten Schneidbretter.
»Das sieht alles ziemlich abgenutzt aus, oder?«
»Rachel, fang nicht damit an. Es ist zu spät. Wir sind zu müde.«
Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu, und er fing darin etwas von dem Mädchen auf, dem er einst den Aquamarinring seiner Großmutter geschenkt hatte, von dem Mädchen, das genau wusste, wie mit ihm umzugehen, was mit der Rumpelkammer und mit seinem langsam verfallenden Elternhaus zu tun war.
»Bett«, sagte Anthony. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Mit dem Tag heute ist nichts mehr anzustellen, außer, ihn zu beenden.«
Rachel trat zurück, so dass seine Hand von ihrer Schulter fiel. Sie hob die Wagenschlüssel auf und warf sie in die Obstschale zwischen die Bananen.
»Okay«, sagte sie.
Kapitel 10
Während Petra mit den Jungs draußen in ihrem Schrebergarten war, klaubte Ralph im Schlafzimmer seine ganzen alten Anzüge von ganz hinten aus dem Kleiderschrank hervor. Er hatte sie von zu Hause nicht mit ins Cottage in Shingle Street genommen, aber nach ihrem Umzug nach Aldeburgh war Rachel mit diversen Kleidersäcken aus Plastik und Stoff gekommen und hatte gesagt, da er es mit dem Familienleben nun ernsthaft angehen würde, solle er auch sein Eigentum selbst verwahren.
Ralph war einigermaßen überrascht gewesen. Rachel hatte ihm seine Anzüge gebracht, nicht aber seine Kinderbücher oder seine Spielzeugburg oder das Schlüsselbord, das seine erste Holzarbeit auf dem Gymnasium gewesen war. In der Annahme, sie wolle ihm mit den Anzügen signalisieren, dass die bevorstehende Vaterschaft ihm mehr Seriosität abverlange, hatte er sie weit hinten in den viel zu kleinen Schrank gestopft, den er und Petra sich teilten, und anschließend ebenso vergessen wie die alten Kindersachen, die seine Mutter anscheinend gern hatte behalten wollen. Tatsächlich hatte er sie so vollständig vergessen, dass er sich für Lukes Hochzeit etwas ausgeliehen hatte, bevor Petra sagte: »Aber du hast doch einen Anzug. Du hast sogar mehrere.«
Und da waren sie alle, dunkelblau und dunkelgrau, auf unpassende Kleiderbügel gequetscht, mit den Labels von Schneidereien aus Singapur, welche die beiden Anzüge hervorragend nachgeschneidert hatten, mit denen er angekommen war. Sie sahen nicht besonders gut aus, seine armen Anzüge, zerknittert und vernachlässigt, mit schmuddeligem Futter und fehlenden Ärmelknöpfen. Ralph zog seine Jeans aus, ließ sie auf den Boden fallen und nahm die oberste der eleganten grauen Wollhosen mit weißen Nadelstreifen. Er stieg hinein und zog sie über seine nicht mehr ganz neuen Boxershorts und die dünnen Billigsocken aus dem Supermarkt. Er schloss den Knopf und zog den Reißverschluss hoch. Sie passten perfekt, flach am Bauch, fließend über den Schenkeln, Platz genug, um die Hände in die Taschen zu stecken, wo er den Abriss einer Bordkarte der Singapur Airlines und einen zusammengeknüllten Geldschein fand. Er betrachtete den Schein in seiner Hand und dachte an sein Apartment in dem riesigen Wohnblock in der Orchard Road mit der weiträumigen, spiegelnden Eingangshalle aus poliertem Stein und einem Fahrstuhl in einer Glassäule, der geräuschlos zwischen den leuchtend grünen Bäumen eines Indoor-Dschungels nach oben
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