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Schwiegertöchter (German Edition)

Schwiegertöchter (German Edition)

Titel: Schwiegertöchter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Trollope
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üblich mit »Hallo?«, und gleich darauf sah Anthony ihr Gesicht in einem breiten Lächeln aufstrahlen, und sie rief überschwänglich: »Luke!«
    Er ging mit seinem Tee an ihr vorbei und sagte: »Grüß ihn von mir«, wobei er sich ein bisschen schämte wegen seiner feigen Reaktion beim letzten Telefonat mit Luke, und überquerte dann den Kies zu seinem Atelier. Es war immer eine Erleichterung, die Tür aufzumachen, immer ein Vergnügen und ein Gefühl der Sicherheit, jederzeit in diesen großen, überladenen Raum zurückkehren zu können, unter die verstaubte, geisterhafte Parade aus Vogelskeletten, die von den Balken hingen. »Lass dir nie die Chance entgehen, einen eben gestorbenen Vogel zu zeichnen«, hatte ihm mal ein alter Naturforscher gesagt, und er hatte seinen Rat befolgt und anschließend den Kadaver auseinandergenommen, um zu sehen, wie die Federn wuchsen, wie die Flügel und der Schnabel angewachsen waren. Sie waren alle hier, seine Vögel, flogen an Drähten befestigt, sogar ein Zaunkönig, dessen Knochen in eine Streichholzschachtel gepasst hätten. Er hatte so rund ausgesehen, dieser Zaunkönig, beinahe so kompakt wie eine kleine gefiederte Walnuss, aber als Skelett war er so klein und zerbrechlich wie die Staubgefäße einer Blüte.
    Anthony stand Tee trinkend vor seiner Staffelei. Darauf befand sich eine gerade begonnene Zeichnung von einem Kranich, einem europäischen Kranich, der erschrocken zum Flug ansetzt mit seinen weiten grauen Flügeln und den langen, komisch gespreizten Beinen, der Kopf gerade so weit gedreht, dass man den roten Fleck hinten sehen konnte. Er hatte Glück gehabt, ihn beobachten zu können, denn sie waren in England sehr selten und bevorzugten Skandinavien und Mitteleuropa und liebten ausgedehnte Sumpf- und Moorlandschaften, um ihre fragilen Nester zu bauen. Er überlegte, diesem einen Kranich im Hintergrund einige andere hinzuzufügen, mit ausgebreiteten Schwingen, um den Tanz anzudeuten, für den sie so berühmt waren. Er stellte den Becher ab und nahm seinen Bleistift auf. Kranich, sagte er zu sich selbst, lateinischer Name Grus grus . Wie der Laut, den sie ausstießen.
    Die Tür ging auf.
    »Weißt du was?«, rief Rachel vom Eingang des Studios.
    »Was?«
    »Luke und Edward kommen am Sonntag. Zum Mittagessen. Gemeinsam. Ist das nicht herrlich?«

Kapitel 14
    Charlotte war noch nie zuvor in Aldeburgh gewesen. Als Luke sie fragte, was sie machen wolle, während er und Edward bei ihren Eltern waren, sagte sie munter, sie würde wohl einfach mal ans Meer fahren.
    »Wahrscheinlich schlafen«, sagte sie. »Ein Eis essen. Einfach von allem abschalten.« Sie hatte sich zur Seite gelehnt, um ihn zu küssen. »Keine Sorge, Baby. Ich komme zurecht.«
    Luke zögerte beim Verlassen des Wagens. »Ich finde es irgendwie komisch, dass du uns hier rauffährst und dann nicht mit reinkommst. Lass dein Telefon an. Die ganze Zeit. Ich schreibe dir eine SMS , wenn wir fertig sind.«
    Edward drückte ihr vom Rücksitz aus die Schulter, bevor er ausstieg. »Du bist eine Heldin, Charlotte.«
    Dann marschierten sie nebeneinander zum Haus ihrer Eltern, und Charlotte dachte, wie jung sie beide plötzlich aussahen, unfertig, eher Halbwüchsige als Männer. Sie hatte den Gang eingelegt und Aldeburgh in das Navigationsgerät eingegeben und war losgefahren, ohne sich im Rückspiegel zu versichern, dass Luke ihr hinterhersah.
    Die Straße führte nordwestlich durch ein Waldgebiet, bevor sie rechts in Richtung Snape und Aldeburgh abbog. Sie war natürlich schon einige Male in Suffolk gewesen, aber allein hier langzufahren, mit einem eigenen Ziel, ohne Luke zuliebe die Landschaft bewundern zu müssen, machte diese Reise für sie besonders interessant. Es war so vollkommen anders als Buckinghamshire, wo sie aufgewachsen war, dass es ihr beinahe wie Ausland vorkam, fremdländisch und fast exotisch. Aldeburgh selbst, auf dessen Hauptstraße sich noch immer viele Sommergäste tummelten, mit der See unmittelbar hinter den Häusern und den kreischenden Möwen, war für sie etwas gänzlich und aufregend Neues.
    Sie parkte das Auto in einer Seitenstraße vor einem Haus mit geschlossenen Fensterläden, das aussah, als wäre niemand da, der sich beschweren würde, und spazierte zum Wasser. Es war ein kühler, heiterer Tag, und der Strand war übersät mit Familien und Windschutzplanen aus Plastik. Die unermesslich weite blaugraue See schwappte auf die Kiesel und sickerte schlürfend zurück in einem unerbittlichen

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