Schwiegertöchter (German Edition)
waren, dass sie nur mit einem ganz bestimmten Trick wieder voneinander getrennt werden konnten. Sigrids Vater hatte sich geweigert, Mariella auch nur den kleinsten Hinweis zu geben, wie es funktionierte. Sigrid hatte angeboten, für – oder mit – Mariella etwas Passendes aus ihrer skandinavischen Heimat zu lesen wie Tove Jansson, aber Mariella war völlig vertieft. Farfar stellte ihr immer Aufgaben, so wie Mormor ihr immer Apfelkuchen backte, und beides freute Mariella. Es war eine kleine, harmlose Familienschäkerei, dachte Sigrid.
Sie beugte sich runter und küsste Mariella.
»Schlaf gut. Ich schicke dir Mormor für einen Gutenachtkuss.«
Mariella hob kaum den Blick. »In zehn Minuten.«
»Warum in zehn Minuten?«
»Bis dahin hab ich das fertig.«
»Meinst du?«
»Ja«, sagte Mariella entschieden.
Sigrid ließ die Tür angelehnt und ging über den Flur zum Wohnzimmer. Weiches Abendlicht flutete durch die bis zum Fußboden reichenden Fenster. Ihre Mutter saß neben einem der Fenster in einem mit grauem Leinen bezogenen Sessel und las die Zeitung Aftonbladet . Sie blickte auf, als Sigrid eintrat, und fragte: »Kann ich ihr jetzt einen Gutenachtkuss geben?«
»In zehn Minuten. Sie möchte noch Farfars Geduldsspiel lösen.«
Sigrids Mutter lächelte. »Das möchte er auch.«
Sie setzte sich in den Sessel ihrer Mutter gegenüber und schaute aus dem Fenster in die Abendsonne. Ihre Mutter musterte sie eine Weile, dann sagte sie: »Überlegst du, nach Schweden zurückzukommen?«
Sigrid schrak leicht zusammen. »Wie kommst du denn darauf?«
»Ich habe mich nur gewundert«, sagte sie. »Diese plötzliche Reise. Deine Unruhe. Du wirkst – irgendwie angespannt.«
Sigrid platzte heraus: »Ich kann nicht mehr frei atmen wegen dieser Brinkleys …«
»Aha.«
»Sie sind wie Farfars Plastikröhrchen«, sagte Sigrid. »Nur dass es keinen Trick gibt, wie man sie auseinanderdröselt.«
Ihre Mutter legte die Zeitung weg und nahm die Lesebrille ab.
»Und da hast du gedacht, du könntest ihnen entfliehen, indem du zurück nach Schweden kommst.«
Sigrid wandte den Blick ab. »Na ja, irgendwie …«
»Also«, sagte ihre Mutter liebevoll. »Tu’s nicht …«
»Aber …«
»Hör zu. Hör mir zu. Du bist zu lange weg gewesen. Es ist nicht mehr das Land, in dem du aufgewachsen bist. All die Menschen, mit denen du groß geworden bist, haben sich mit dem Land verändert, und obwohl du dich auch mit England verändert hast, bist du hier keinen Schritt weitergekommen. Wie auch?«
Sigrid machte eine unbestimmte Geste. »Ich könnte es aufholen …«
»Und da ist noch etwas«, sagte ihre Mutter. »Etwas Wichtigeres. Was du vermutlich nicht bedacht hast.«
»Und das wäre?«
Sigrids Mutter ließ sich noch etwas tiefer in ihren Sessel sinken. »Ich.«
»Du?«
»Ja«, bestätigte ihre Mutter. »Ich. Denk nur an meine Situation.«
Sigrid warf einen Blick ins Zimmer und stieß ein kleines Lachen aus. »Es sieht eigentlich nach einer sehr angenehmen Situation aus.«
»Tatsächlich?«, fragte ihre Mutter. »Wirklich? Glaubst du, es ist so angenehm, zwei Kinder zu haben, die sich für ein Leben im Ausland entschieden haben?«
»Aber es hat dir doch nie etwas ausgemacht …«
»Wer sagt, dass es mir nichts ausgemacht hat?«
»Aber …«
»Natürlich bin ich glücklich darüber, dass du Edward geheiratet hast«, erklärte Sigrids Mutter. »Ich bete Mariella an. Ich liebe deinen Bruder sehr, aber er wird mir nie eine Mariella schenken. Ich mag seinen Lebensgefährten. Ich liebe deinen Edward, ich bin zufrieden und stolz auf das, was meine Kinder erreicht haben, aber ich weiß nichts von ihrem Leben. Nicht wie meine Freundinnen das Leben ihrer Kinder kennen. Das ist auch gar nicht möglich. Ihr lebt nicht nur in anderen Ländern, sondern auch in anderen Kulturen.«
»Du meine Güte«, sagte Sigrid.
»Ich bin noch nicht fertig.«
»Aber …«
»Ich musste mich damit arrangieren«, sagte ihre Mutter. »Und das habe ich getan, indem ich mich in die Arbeit gestürzt habe. Ich arbeite jetzt den ganzen Tag, so wie dein Vater auch. Wir sind zufrieden damit. Es gefällt uns. Und wenn wir uns zur Ruhe setzen, werden wir Reisen machen, und wir werden oft nach London kommen und dich und Mariella häufiger sehen. Aber wenn …«, sie unterbrach sich, lehnte sich vor und heftete ihren Blick auf Sigrid. »Aber wenn du jetzt nach Schweden zurückkommst, könnte ich nicht einfach alle meine Patienten sausen lassen und eine
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