Schwiegertöchter (German Edition)
Vollzeit-Mutter und -Großmutter werden. Unmöglich. Ich würde es nicht wollen. Es ist zu spät dafür, und das sollte dir klar sein.«
Sigrid entgegnete trotzig: »Ich bin nicht wieder krank.«
»Das habe ich auch nicht behauptet. Das glaube ich auch nicht.«
»Warum redest du dann so mit mir? Warum bist du so böse?«
»Ich bin nicht böse«, widersprach ihre Mutter. »Aber ich dachte, da du selbst Mutter bist, hättest du ein bisschen mehr Einfühlungsvermögen.«
Sigrid blickte in ihren Schoß.
»Auch für deine Schwiegermutter. Hat sie nicht den Mann großgezogen, den du geheiratet hast?«
Sigrid legte die Hände vors Gesicht.
»Nicht weinen«, sagte ihre Mutter etwas zärtlicher. »Wir sind beide zu alt dafür. Ein bisschen Offenheit unter Frauen sollte dich nicht zum Weinen bringen.«
»Ich weine nicht.«
»Ach nein?«
»Ich – arrangiere mich nur.«
Sigrids Mutter stand auf und drückte ihrer Tochter die Schulter.
»Ich gehe jetzt Mariella gute Nacht sagen. Warum holst du uns nicht ein Glas Wein? Es ist immerhin Freitag.«
»Mama …«
»Ja?«
»Ich versuche nicht wegzulaufen.«
Ihre Mutter blieb stehen. »Das funktioniert auch nie, Sigi. Du nimmst immer alles mit dir mit. Du kannst eine Situation verändern, aber sie wird bald wieder dieselbe sein, wenn du dich nicht auch änderst. Ich sage das meinen Patienten immer wieder. Ich hätte es an meine Sprechzimmerwand malen sollen.«
Charlottes abendliche Übelkeit ließ allmählich nach. Während es ihr immer besser ging, schwoll ihr Bauch leicht, aber unübersehbar an, und ihr Busen war prachtvoll. Sie informierte ihre Redaktionschefin von der Schwangerschaft, die sich davon erstaunlich wenig überrascht zeigte und ihr mitteilte, dass sie vier Monate bezahlten Mutterschaftsurlaub bekommen würde plus zwei weitere Monate mit halbem Lohn, dass man die Stelle aber nicht automatisch für sie freihalten würde. Für Charlotte klang das alles vollkommen in Ordnung. Es schien ihr genauso weit weg, wie es zunächst auch die Vorstellung gewesen war, überhaupt ein Baby zu bekommen. Charlotte dachte unbekümmert, dass schon alles irgendwie seinen Lauf nehmen würde, dass die Ereignisse sie mit sich tragen würden, als wäre sie ein Papierschiffchen auf einem Fluss, und dass sie mit allem, was passierte, so zurechtkommen würde, wie sie in der Vergangenheit mit der Schule und der Arbeit und London und den Männern und der Ehe zurechtgekommen war. Die bange Sorge nach dem Vorfall mit Rachel, das Gefühl, in einem Tunnel zu sein, aus dem sie ganz allein herausfinden musste, war ganz erheblich durch Lukes Begeisterung für das Baby gelindert worden, und sie hatte sogar entdeckt, dass er sich Bücher über Schwangerschaft und Babys gekauft hatte, die er abends vorm Schlafengehen gründlich studierte.
»Er würde das Baby für dich bekommen, wenn er könnte«, sagte Jed eines Tages zu Charlotte. »Er tickt nicht mehr richtig. Sieh nur zu, dass du wieder den echten Luke rausrückst, wenn du mit dem schwangeren fertig bist.«
Jed hatte Charlotte einen Becher mit der Strichmännchenzeichnung einer strahlenden schwangeren Frau darauf geschenkt und unter das Bild »Glückliche Mum« geschrieben. Es war wirklich sehr seltsam, sich als potenzielle Mutter zu sehen, als jemanden, von dem ein viel kleinerer Mensch bald abhängig sein würde, ein Mensch, so hatte ihre Mutter gesagt, den ihre Verantwortung vom ersten Atemzug an ein Leben lang begleiten würde. Na ja, dachte Charlotte, mit dem Baby würde sich gewiss ein Verantwortungsgefühl einstellen, genauso wie sich eine andere Art Liebe eingestellt hatte, seit sie Luke ernster nahm. Eine Art Liebe, wie sie vermutlich auch Petra noch immer für Ralph empfand, und die sie nun sehr gut nachempfinden konnte.
Seit dem Besuch in Petras Schrebergarten war Charlotte mit ihr per SMS in Kontakt geblieben. Petra war nicht bei Facebook und twitterte nicht und ging nicht mal an ihr Handy, aber manchmal beantwortete sie eine SMS und schrieb verworrene Nachrichten, oft rätselhaft in ihrer Bedeutung, aber mit einem Kuss am Schluss. Charlotte hatte ein halbes Dutzend dieser kleinen Texte in ihrem Handyspeicher, und sie verschafften ihr einen Kitzel, als ob sie an irgendeiner Verschwörung beteiligt sei. Sie war nicht ganz sicher, worum es bei dieser Verschwörung ging oder wann sie Luke davon erzählen würde, aber es fühlte sich trotzdem wie eine geheime Macht an, als hätte sie Lukes Familie etwas voraus. Es war nicht
Weitere Kostenlose Bücher