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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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Moll- und Dur-Töne. Als ich die Fingerübungen beendet hatte, wandte ich mich vereinfachten Versionen der Beethoven-Sonaten zu. Aber während ich daran arbeitete, dass meine rechte und linke Hand Notenkombinationen und Akkorde so zusammenführten, dass sich ein Klangpuzzle ergab, hörte ich sie wieder, wie sie sich in Vaters Arbeitszimmer stritten.
    Ich versuchte, lauter zu spielen, trat das Pedal nach unten und hielt es gedrückt. Trotzdem hörte ich …
«Verstehst du denn nicht?»
Vater jammerte. Nach einem kurzen Schweigen hörte ich sein schrilles Kontern. «Herrgott noch mal, Irene.»
    Ich versuchte, lauter und schneller zu spielen, aber die Stimmen der beiden übertönten alles. Ich konnte die Finger nicht schnell genug bewegen, also fing ich an zu singen:
«To dream, the impossible dream!»
Ich begann, die Wörter herauszuschreien, und wie ein Drachen, der im Wind eine scharfe Kurve schlägt, wechselte ich in ein höheres Register. Meine Finger verharrten.
«To dream!»
Ich sang heiser und hielt den Ton bei «dream», solange mein Atem es zuließ. Mutter öffnete die Tür.
    Â«Sarah, bitte. Geh nach oben. Hast du deine Hausaufgaben gemacht?»
    Ich rutschte von der Bank.
    Â«Dieses Haus treibt mich in den Wahnsinn!» Ich stampfte laut jede einzelne Stufe der mit Teppich ausgelegten Treppe nach oben, ging direkt ins Bad und schloss die Tür zu. Ich drehte den Wasserhahn auf, und während das Wasser einlief, zog ich mich aus. In der Badewanne hielt ich die Luft an und tauchte mit demKopf unter Wasser, um die Geräusche zu dämpfen. Aber ich hörte trotzdem, wie die Schlafzimmertür meiner Eltern zuknallte. Vater ging mit schweren Schritten die Treppe hinunter und dann noch weiter hinunter in den Keller.
    In meinem Zimmer zog ich das Flanellnachthemd an, eins mit kleinen grünen Blumen. Der heiße Dampf staute sich zwischen meinen Beinen. Kältere, trockene Luft schlug mir ins Gesicht.
    Vater kam die Kellertreppe wieder nach oben marschiert. Er stoppte in der Küche. Ich hörte ein Krachen, dann wieder Gepolter. Das Gepolter klang anders, ausgelassen, wie eine übermütige Forderung nach Aufmerksamkeit. Ich schlich nach unten, um zu sehen, was er da tat.
    Ich spähte genau in dem Augenblick in die Küche, als er von der Werkzeugkiste abließ. Die Kiste war ein langer, rechteckiger Metallkasten voller mechanischer Objekte, die für Leute wie Vater, denen jedes handwerkliche Geschick fehlt, ein Mysterium sind. Ein Kästchen mit Nägeln öffnete sich dabei, und alles fiel auf den weißen Küchenboden.
    Â«Verflucht!» Er grunzte, schaute um sich und sah mich.
    Ich trat zurück.
    Â«Oh, du willst mir also helfen?», sagte er verärgert. Er kniete sich hin und kippte die Werkzeugkiste aus. Ein ganzer Eisenwarenladen mit Hämmern, Nägeln, Zangen und Schraubenziehern fiel heraus.
    Â«Was machst du?»
    Â«Siehst du das da?», sagte er und zeigte auf den schmalenBesenschrank. «Ich baue ihn um. Völlig verkorkste Raumausnutzung. Reine Verschwendung.» «
    Jetzt?»
    Ich schaute mich um. Clarisse hatte die Küche sauber und ordentlich hinterlassen, bis auf das Chaos, das Vater jetzt anrichtete. Jedes einzelne Glas hatte sie sorgfältig abgespült und in die Spülmaschine gestellt; die Lichter bis auf die Strahler über dem Waschbecken gedämpft. Der Geschirrspüler hatte schon mit seinem Ritual aus Klicken, gefolgt von einer Reihe kleiner Explosionen, begonnen. Ich roch den Geschirrreiniger, als wäre es paradiesische Luft, die in das Zimmer strömte. Der Boden war frisch gebohnert. Die Ablagen abgewischt, jeder kleinste Krümel, Fleck und Klecks mit dem Schwamm beseitigt. Das Aluminiumspülbecken und der Wasserhahn waren mit dem Geschirrtuch abgerieben worden und so blank wie polierter Zinn.
    Â«Wenn du helfen willst, geh doch nach unten und hol die kleinen Bretter.» Er kniete sich hin und sammelte die Hämmer vom Boden auf.
    Ich ging runter in die Garage. Ich konnte mich an keinen einzigen Tag erinnern, an dem Vater erfolgreich einen Hammer benutzt hätte. Dann hörte ich oben wieder ein Poltern. Ich schnappte mir zwei Bretter, klemmte eins unter jeden Arm und ging wieder hoch. Ich hörte es noch mal knallen. Er hämmerte drauf los, immer schneller, ein hektisches Klopfen und Poltern.
    Vater holte weit mit dem Hammer aus und ließ ihn dann wieder auf

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